Etliche Einheimische befürchten, dass die SBB die historische Linie vor ihrer Haustür links liegen lassen werden. «Das heutige Angebot darf nicht noch weiter abgebaut werden», sagen die Betroffenen zu BLICK.
Ihre Sorgen sind berechtigt. Die Zukunft der Bergstrecke ist ungewiss. Noch sind die SBB im Besitz der Konzession, die 2017 ausläuft. Auch danach möchten sie die Linie erhalten und betreiben. Wie das Angebot ab 2018 aussieht, ist bei den SBB aber unklar. Es heisst: «Über allfällige Anpassungen zu spekulieren, macht zum jetzigen Zeitpunkt keinen Sinn.»
Nach Inbetriebnahme des Neat-Tunnels will man zuerst Erfahrungen sammeln. Ein Konkurrent hat hingegen klare Vorstellungen. Die Südostbahn (SOB) will die Gotthard-Bergstrecke übernehmen. «Falls wir die Konzession bekommen», sagt SOB-CEO Thomas Küchler, «bauen wir das Angebot sogar aus.»
Konkret heisst das: Wenn das Nutzungsrecht an die SOB geht, rollen weiter Züge im Stundentakt via Bergstrecke in beide Richtungen zwischen Arth-Goldau SZ und Lugano TI. Passagiere müssten also nicht in Erstfeld UR umsteigen. Ebenso will die SOB morgens und abends länger fahren, damit Bahnreisende auch von Andermatt UR aus die ersten und letzten Flüge in Zürich-Kloten erreichen. Küchlers Kampfansage: «Als Voralpen-Express-Betreiber haben wir Erfahrung. Unser Rollmaterial ist topmodern und im Gegensatz zu den SBB sind wir mit unserem Konzept jährlich schätzungsweise acht bis 14 Millionen Franken billiger.» Das Bundesamt für Verkehr will die Fernverkehrskonzession Ende 2017 neu vergeben.
Die SOB-Versprechen stossen bei den Einheimischen auf offene Ohren, obwohl nicht jeder recht daran glauben mag. Rentner Karl Zgraggen (65) aus Gurtnellen UR arbeitete sein ganzes Leben als Gleisarbeiter bei den SBB. Er erlebte hautnah, wie man Bahnhöfe und Schalter an der Bergstrecke sukzessive schloss. «Ich bezweifle, dass die Situation besser wird», sagt er. «Der Erhalt der Bergstrecke ist aber enorm wichtig für uns.»
Vor allem Lehrlinge und Rentner ohne Auto sind auf den ÖV angewiesen. Heute nehmen viele den Bus und steigen in Erstfeld um. Für Zgraggen ist deshalb klar: «Eine direkte Zugverbindung nach Arth-Goldau wäre am besten.»
Auch der Tourismus am Gotthard lebt von den historischen Gleisen. «Viele kommen extra wegen der Bahn», sagt Mario Gnazzo (70), Inhaber des Hotels Bergidyll in Andermatt. «Die Touristen aus Asien wollen die alte Strecke sehen und die Züge fotografieren.» Ganz wichtig sei auch, dass Gäste mit öffentlichen Verkehrsmitteln vom und an den Flughafen Zürich kommen. «Weil das heute nicht geht, reisen manche einen Tag früher ab.»
Klare Worte finden Hans Stern-Walker (85) und seine Frau Frieda (83), die seit den 70er-Jahren in Gurtnellen eine Tankstelle betreiben: «Heute könnte der Bund eine solche Strecke mit so vielen Tunneln, Kurven und Brücken gar nicht mehr zahlen. Das müssen wir schützen.» Von diesem Erbe leben das Urner Oberland und die Gegend.