Unser Leid findet kein Ende
Familien von Raser-Opfern klagen an

«Ihr habt unser Glück zerstört!» Was Angehörige von Raser-Opfern über ihr tragisches Schicksal sagen.
Publiziert: 03.12.2008 um 09:19 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 03:18 Uhr
Von Karin Baltisberger und Ralph Donghi

Angelique Baumgartner (19), getötet am 17. Februar 2002. Angi aus Hägendorf SO sitzt mit drei Freunden im Auto von R. M.* Der 19-Jährige hat das Billett erst seit zwei Wochen. Dennoch sitzt er im 300-PS-Sportwagen seines Vaters. «Er raste mit etwa 120 km/h», weiss Angis Mutter Sylvia Baumgartner (68; Bild). Verheerend! In Rothrist AG donnert der Wagen durch eine Lärmschutzwand und landet auf dem Dach. Angi ist sofort tot. «Ich machte eine schlimme Zeit durch», sagt Sylvia Baumgartner. Kurz zuvor hatte sie schon ihren Vater, ihren Sohn und ihren Lebenspartner verloren. Ihre Angi sei heute noch allgegenwärtig. «Ich spüre ihren Geist jeden Tag. Und ihr Zimmer ist noch so wie damals, als sie ging.» Und der Raser? «Als er zu einem Jahr Gefängnis bedingt verurteilt wurde, fand ich es okay.» Nun sagt sie: «Leute, die das Leben von Unschuldigen auslöschen, gehören ins Gefängnis. Und zwar unbedingt!»

Tiziana Bertone (14), getötet am 2. November 2005. Schülerin Tiziana wird in Wohlen AG totgefahren, als sie die Strasse überqueren will. Von einem notorischen Schnellfahrer. «Wir waren alle in einem Schockzustand», beschreibt Tizianas Cousine Rebecca Narducci (28; im Bild links, im Hintergrund ein Porträt Tizianas) die ersten Momente nach dem Unfall. Niemand in der Familie habe begreifen können, was passiert sei. «Man funktioniert einfach – die Trauer kommt erst später.» Viele Menschen halfen der Familie in dieser Zeit. Der Unfall habe ihr ganzes Leben verändert. «Ich habe heute noch Albträume. Es gibt Tage, an denen ich nur weine», sagt die Studentin. Sie ist verzweifelt – und wütend. Deshalb kämpft sie gegen Raser und macht mit Demos auf die Problematik aufmerksam. «Es gibt keinen Tag, an dem Tiziana nicht präsent ist. Wir werden sie nie vergessen».

Lorena W.* (21), getötet am 8. November 2008. Die KV-Angestellte Lorena (Bild) stirbt nachts, auf dem Heimweg. Drei junge Raser liefern sich ein Rennen. Sie fahren ins Dorf Schönenwerd SO. Massiv zu schnell. Den vordersten Wagen steuert Nekti T.* (18). Er donnert frontal in den VW Golf, in dem Lorena sitzt. Sie stirbt noch am Unfallort. Zwei der Raser fahren einfach weiter, einer geht sogar noch in die Disco. Lorenas Mutter Brigitte W. (45) ist untröstlich: «Sie war mein Leben, meine grosse Liebe. Und jetzt der schönste Engel im Himmel.»

Claudia Schaffner (24), getötet am 26. November 2003. Die Verkäuferin wird in ihrem Alfa auf der «Todesstrasse» in Wohlen AG von einem Auto frontal gerammt und ist sofort tot. Todesfahrer D. W.* (43) hatte über 2 Promille im Blut und ass während der Fahrt auch noch Pizza. Die Polizei fand zerkaute Reste auf dem Armaturenbrett. «Für den Tod an unserer Tochter kriegte er lächerliche 1¾ Jahre Gefängnis. Er ist bereits wieder frei», sagt Claudias Mutter Eveline Schaffner (50; im Bild links). «Wenigstens musste er in den Knast. Heute müsste er die Strafe nicht einmal absitzen. Schlimm, dieses neue Gesetz.» Eveline Schaffner und ihrem Mann Karl (51; im Bild rechts) tut vor allem die Mutter von Lorena leid. «Man geht durch die Hölle, wenn man so seine Tochter verloren hat. Vor allem, weil man sich nicht verabschieden konnte.»

Bilal Kandil (32) und Siho (10), schwer verletzt am 19. März 2000. Der Lebensmittelhändler fährt mit seinem Sohn im Renault Espace nach Hause. Bei Bremgarten AG kommt ihnen ein Honda Civic in einem Höllentempo entgegen – und rammt sie frontal. Die drei Insassen des Raser-Autos sind sofort tot. Vater und Sohn überleben im Renault schwer verletzt (im Bild im Spital). Aber noch heute, acht Jahre später, plagen sie die Folgen. «Ich habe noch immer Schmerzen an Kiefer, Hand- und Fussgelenken», sagt Bilal Kandil. Sein Sohn war damals zwei Jahre alt. Auch er leidet heute noch. «Siho hat Angstzustände und Lernstörungen, er muss zum Psychiater.» Ausserdem sei sein Bein nicht gerade zusammengewachsen. Bilal hegt keine Hassgefühle gegen die Raser, schliesslich seien sie tot. «Aber die Raser haben mein Leben zerstört.»

Carina Riedtmann (15) , getötet am 13. August 2003. Franziska Riedtmann erinnert sich ganz genau an den Tag, an dem ihre Tochter getötet wurde. «Sie kam nicht nach Hause, da ging ich nach ihr schauen.» Als sie zur Kantonsstrasse zwischen Möhlin AG und Mumpf AG kommt, sieht sie schon die Krankenwagen, die Rega. «Da war mir klar, was passiert ist.» Sie sah ihre tote Tochter. Diese Bilder gehen der Mutter nicht mehr aus dem Kopf. «Ich träume davon.» Fünf Jahre ist es her, seit Carina starb. «Wenn sich der Unfall jährt, oder an Weihnachten, kommt alles wieder hoch.» Hart traf sie auch das Urteil gegen den notorischen Raser: nur zwei Jahre bedingt. Und er ist auch noch uneinsichtig. Zeigt keinerlei Reue. Franziska Riedtmann: «Raser müssen unbedingt härter bestraft werden.» Dafür kämpft sie auch an Demos (Bild).

* Alle Namen der Redaktion bekannt

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