«Mir fehlen die Worte»
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Kita-Chef im Interview:«Mir fehlen die Worte»

Trotz Missbrauch in St. Gallen fordert Kita-Fachverband
«Wir wollen mehr Männer für den Beruf begeistern»

Trotz der Vorfälle in der St. Galler Kita sollen mehr Männer im Bereich der Kleinkindbetreuung arbeiten. Die Skepsis bei einzelnen Eltern dürfte bestehen bleiben.
Publiziert: 07.02.2019 um 18:32 Uhr
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Aktualisiert: 08.02.2019 um 17:06 Uhr
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Der Ex-Kita-Mitarbeiter René W. soll nicht nur Kinderpornos verbreitet, sondern sich auch an zwei Buben vergangen haben.
Foto: zVg
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Andrea CattaniTagesleiter Sport

Für die Kitas im ganzen Land ist es eine Hiobsbotschaft: Ausgerechnet der St. Galler Betreuer René W.*, der sich in der Vergangenheit vehement gegen einen Generalverdacht von männlichen Kita-Angestellten eingesetzt hatte, soll nicht nur Kinderpornos im Darknet verbreitet haben, sondern sich auch selber an zwei Buben sexuell vergangen haben. Der Chef der betroffenen Kita Fiorino war heute bei der Medienkonferenz den Tränen nahe.

Beim Verband Kinderbetreuung Schweiz, kurz Kibesuisse, ist man entsetzt: «Dieser Vorfall schadet der familien- und schulergänzenden Kinderbetreuung», sagt Geschäftsleiterin Nadine Hoch. Der Fall in der St. Galler Kindertagesstätte, die auch Mitglied von Kibesuisse ist, ist für Hoch tragisch und macht sie betroffen. 

Mit Kodex und Strafregisterauszug gegen Vorurteile

Mit der Problematik von möglichen Übergriffen beschäftigt sich der Verband aber nicht erst seit vergangenem August, als René W. in U-Haft kam. «Seit Jahren publiziert der Verband einen Kodex zur Prävention von Übergriffen, thematisiert die Prävention an Tagungen und Workshops. Auch deshalb, weil Männer oft unter Vorurteilen leiden», sagt Hoch. Die Anschuldigungen gegenüber W. sind nun natürlich Wasser auf die Mühlen der Kritiker. 

Zu den empfohlenen Massnahmen gehört auch, dass Betriebe wie Kindertagesstätten bei Neuanstellungen einen Strafregisterauszug einfordern. Zudem soll die Unterzeichnung des Verhaltenskodexes zusätzlichen Schutz bieten.

Viele Männer steigen aus

Nadine Hoch betont aber auch: «Man kann das Risiko von Übergriffen minimieren, ganz verhindern lässt es sich leider nie.» Zudem handle es sich bei den Präventionsmassnahmen bloss um Empfehlungen. Was in den Einrichtungen effektiv umgesetzt wird, entscheiden letztlich die Kantone oder die Gemeinden in ihren Vorgaben.

Gerade mal bei rund acht Prozent liegt heute der Männeranteil in den Schweizer Kitas. In der Ausbildung liegt der Prozentsatz noch einiges höher. Doch ein grosser Teil der Männer steigt irgendwann aus und orientiert sich beruflich anders. «Das hat sicher auch mit den Vorurteilen zu tun, mit denen der Beruf nach wie vor behaftet ist», erklärt Hoch.

«Wichtig, dass Kinder von Männern und Frauen betreut werden»

Einer, der schon seit über 15 Jahren im Bereich Kleinkinderbetreuung arbeitet, ist Christof Erni. Der 58-Jährige ist Präventionsfachmann im Bereich sexuelle Gewalt und leitet selber eine Kita im Kanton Bern. Fast die Hälfte der Angestellten ist in seinem Betrieb männlich. «Heute ist man selbst in einigen Kitas immer noch skeptisch, wenn es darum geht, Männer einzustellen. Wir haben damit nur gute Erfahrungen gemacht.»

Erni liegt viel daran, dass der Schutz vor sexuellen Übergriffen im Arbeitsalltag ein Thema ist – und zwar unabhängig vom Geschlecht der Mitarbeiter. Von einem Vier-Augen-Prinzip, wie es beispielsweise in der betroffenen St. Galler Fiorino-Kita zum Schutz der Kinder angewendet wird, hält Erni hingegen wenig. «Oft kommt es zu Übergriffen, ohne dass dabei Standards verletzt werden. Wenn wir alles darauf ausrichten, weil etwas passieren könnte, ist das vor allem Panikmacherei.» Der Präventions-Experte setzt stattdessen am anderen Ende an und will, dass das Thema bei ihm im Team immer wieder angesprochen wird. «Jeder soll mit offenen Augen hier arbeiten.» 

Sowohl für Nadine Hoch wie auch für Christof Erni sollte es auch nach den Vorfällen in der St. Galler Kita weiter das Ziel sein, mehr Männer für den Beruf als Kleinkindbetreuer begeistern zu können. «Die Aufgabe der Bildung, Betreuung und Erziehung wird immer noch hauptsächlich in der Verantwortung von Frauen gesehen. Es ist jedoch wichtig, dass Kinder von Männern und Frauen betreut werden», sagt Hoch.

* Name geändert

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