Transkinder stellen Schulen vor neue Aufgaben
Bub oder Mädchen?

Eltern und Lehrer sind häufig hilflos, wenn Kinder ihr Geschlecht ablehnen. Das soll sich ändern.
Publiziert: 05.11.2017 um 00:04 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 05:40 Uhr
Shiloh Jolie-Pitt (l.): Es gibt Trans-Gerüchte um das Kind von Angelina Jolie und Brad Pitt.
Foto: JCS/ZOJ
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Thomas Schlittler

Bub oder Mädchen? Es gibt zahlreiche Kinder, die sich mit dem Geschlecht nicht identifizieren können, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. In diesen Tagen finden in der Schweiz mehrere Veranstaltungen statt, die sich mit dem Thema Transkinder beschäftigen, am Donnerstag zum Beispiel an der Pädagogischen Hochschule Zürich.

Lehrer sollen sensibilisiert werden

Lukas Geiser (49), der dort als Sexualpädagoge tätig ist, erklärt das Ziel des Anlasses: «Lehrer sollen sensibilisiert werden, damit sie richtig reagieren, wenn sie ein Transkind oder einen Transjugendlichen in der Klasse haben.»

Aber wozu braucht es diese ­Informationsoffensive? Gibt es so viele Transkinder, dass der Aufwand gerechtfertigt ist? Zuverlässige Zahlen über Fälle in der Schweiz gibt es nicht. Aussagekräftiger sind deshalb die Aussagen von Praktikern: «In der Stadt Zürich musste sich jedes grosse Schulhaus schon einmal mit Transkindern auseinandersetzen», sagt Dagmar Pauli (54), Chefärztin an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich.

Sprechstunde für Transkinder

Seit 2009 bietet Pauli eine Sprechstunde für Transkinder und -jugendliche an. Sie hat schon mehr als 100 von ihnen betreut. «Bis 2012 wurde das Angebot nur wenig in Anspruch genommen. Dann nahm die Nachfrage stetig zu, im letzten Jahr gar sprunghaft.» Mittlerweile suchen monatlich fünf bis acht Transkinder und -jugendliche den Rat der Psychiaterin.

Pauli erklärt sich die erhöhte Nachfrage mit der gestiegenen Sensibilität für das Thema: «Es gibt nicht mehr Transkinder als früher. Aber heutzutage wagen es Kinder und Jugendliche eher, ihre Gefühle auszudrücken. Zudem hören Eltern und Lehrer eher hin.»

Im Netz finden sich Jugendliche mit Transidentität

Eine wichtige Rolle spiele auch das Internet: «Im Netz finden sich Jugendliche mit Transidentität. So erhalten sie Informationen und merken, dass sie nicht alleine sind.»

Seit zwei Jahren gibt es auch an der Kinderklinik des Berner Inselspitals eine Anlaufstelle. Zuständig ist dort die auf Transkinder spezialisierte Pädagogin und Sexualtherapeutin Marie-Lou Nussbaum (33). Sie redet nicht nur mit den Betroffenen selbst, sondern vor allem mit deren Eltern und Lehrern: «Das ist zentral. Ich versuche, dem Umfeld die Angst zu nehmen.»

Mobbing und Diskriminierung

In allen Beratungen stehen Alltagsfragen im Mittelpunkt: Wie geht man mit Mobbing und Diskriminierung um? Wie lässt sich gewährleisten, dass ein Kind die für sich richtigen sanitären Anlagen nutzen darf? Was ist zu tun, damit im Zeugnis der Name geändert werden kann? Das Gesetz haben die Betroffenen grundsätzlich auf ihrer Seite, erklärt Rechtsexperte Alecs Recher von der Uni Bern: «Die Schule ist rechtlich dazu verpflichtet, das Wohl des Kindes zu gewährleisten.»

Auch Hormonbehandlungen und Geschlechtsangleichungen sind ein grosses Thema. Chefärztin Pauli empfiehlt bei jüngeren Jugendlichen in der Regel eine hormonelle Pubertätsblockade: «Mit dieser Behandlung gewinnt man Zeit, sich mit der eigenen Identität auseinanderzusetzen. Sie ist umkehrbar und nicht definitiv.»

Geschlechtsangleichende Hormone

Das sei von grosser Bedeutung. Denn manchmal sei die Transidentität nicht dauerhaft. Wenn sich Betroffene und ihre Familien sicher seien, könnten bei älteren Jugendlichen mit anhaltender Transidentität geschlechtsangleichende Hormone eingesetzt werden.

Pauli: «Jeder Fall ist anders. Das Wichtigste ist einfach, dass die Kinder und Jugendlichen zu nichts gedrängt und jederzeit unterstützt werden.»

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