Es hat rosa Haut, ist vier Monate alt und saugt an einem Fläschchen Süssmost. Medizinische Apparate piepen, es riecht nach Desinfektionsmittel. Ein Donnerstagabend im dritten Untergeschoss des Inselspitals Bern. Vier Mitarbeiter in blauer Bluse, mit grüner Haube und Mundschutz bereiten Säuli Peter auf den Eingriff vor. Wegen seiner physiologischen Ähnlichkeit mit uns Menschen wird dem kleinen Peter später an diesem Abend ein Vorderbein amputiert.
Wir sind in der «Experimental Surgery Facility». Hier werden mehrmals pro Woche Experimente an Kaninchen, Ziegen oder Schafen durchgeführt. Oder eben, wie heute, an einem Schwein. Geboren ist das Tier auf einem Berner Biobauernhof mit viel Auslauf, nun räkelt es sich in einer blauen Kiste. «Die Säuli, die nicht bei uns auf dem Operationstisch landen, werden gegessen», sagt Biologe und Projektleiter Robert Rieben.
Sechs Stunden um Hand wieder anzunähen
Verlieren Menschen bei einem Unfall eine Hand oder ein Bein, bleiben Chirurgen heute sechs Stunden, um das Körperteil wieder anzunähen. Ziel von Robert Rieben ist es, dieses Zeitfenster zu erweitern. Sein Team hat Substanzen entwickelt, die Blutgefässe schützen und Schäden vermindern können. Diese gilt es zu testen. Rieben: «Wenn es gelingt, würde den Opfern künftig das Tragen einer Prothese erspart bleiben.»
Die Volksinitiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot» fordert ein bedingungsloses Verbot für Tierversuche und Forschung am Menschen. Forschung an Tieren soll grundsätzlich als Tierquälerei definiert werden, mit den entsprechenden rechtlichen Konsequenzen. Auch Versuche, die dem Tier keine Schmerzen zufügen, wären tabu. Zudem will die Initiative ein Handels- und Importverbot sämtlicher Produkte, für die Tierversuche direkt oder indirekt durchgeführt werden. Bisherige Produkte sind davon ausgenommen, wenn inzwischen keine Tierversuche mehr notwendig sind.
Die Volksinitiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot» fordert ein bedingungsloses Verbot für Tierversuche und Forschung am Menschen. Forschung an Tieren soll grundsätzlich als Tierquälerei definiert werden, mit den entsprechenden rechtlichen Konsequenzen. Auch Versuche, die dem Tier keine Schmerzen zufügen, wären tabu. Zudem will die Initiative ein Handels- und Importverbot sämtlicher Produkte, für die Tierversuche direkt oder indirekt durchgeführt werden. Bisherige Produkte sind davon ausgenommen, wenn inzwischen keine Tierversuche mehr notwendig sind.
Tierexperimente sind umstritten. Sie werden eingesetzt, um Medikamente und Therapien zu entwickeln. Doch wer an einem Tier forscht, fügt ihm in vielen Fällen Schaden zu: Es wird verletzt, krank gemacht oder psychischem Stress ausgesetzt. In aller Regel stirbt es.
In der Schweiz wurden 2021 für solche Zwecke rund 550'000 Tiere verwendet. In den letzten Jahren nahm die Anzahl der Versuche zwar stark ab – dafür jedoch nehmen besonders belastende Experimente zu.
Stimmvolk entscheidet
Am 13. Februar wird das Schweizer Stimmvolk entscheiden, ob Tierversuche verboten werden sollen. Wenige Wochen nach der ersten Transplantation eines Schweineherzes in einen Menschen entscheiden Herr und Frau Schweizer über die Frage, was Vorrang haben soll: der medizinische Fortschritt oder das Recht der Tiere.
Tierärztin und Anästhesistin Daniela Casoni hat das Zuchtschwein in Vollnarkose versetzt. Jetzt führt sie einen Schlauch in seine Luftröhre ein, um es künstlich zu beatmen. Andere aus dem Team rasieren und desinfizieren Peter, bevor er auf den Operationstisch gelegt wird.«Wir bereiten das Tier nun für den Schnitt vor», ruft eine Mitarbeiterin. Das Schwein liegt auf dem Operationstisch, fast verborgen unter grünen Tüchern. Maschinen zeichnen Puls, Blutdruck und Körpertemperatur auf. Casonis Blick ist den ganzen Abend auf die Anzeigen gerichtet. Sie überwacht die Werte, um sicherzustellen, dass das Schwein keinen Schmerz empfindet: «Es ist uns sehr wichtig, dass die Tiere minimal bis gar nicht leiden. «Diese Experimente bedeuten für sie weniger Stress als ein Lebensende im Schlachthof», ist sie überzeugt.
Moralisches Dilemma
22 Uhr: Die Handchirurginnen, welche die Amputation vornehmen werden, sind inzwischen eingetroffen. Mitarbeiterinnen helfen den beiden Humanmedizinerinnen, OP-Kleidung überzustreifen. Wie bei einer Operation am Menschen wird akribisch auf Sterilität geachtet.
«Natürlich ist es ein moralisches Dilemma, ein Lebewesen für einen Versuch einzusetzen. Aber der potenzielle Nutzen überwiegt, daher kann ich es mit meinem Gewissen gut vereinbaren», sagt die federführende Chirurgin.
Vorderlauf-Amputation im Namen der Forschung
Um 23 Uhr setzt sie zum Schnitt an. Im Operationssaal ist es still. Mit einem Elektroskalpell wird das Gewebe durchtrennt, ab und zu steigt etwas Rauch auf. Knapp eine halbe Stunde später ist der Vorderlauf amputiert. Eine Mitarbeiterin wiegt Peters Bein; sie wird es später mit einer Substanz behandeln. Zunächst aber bleibt es bis zum kommenden Morgen bei Raumtemperatur liegen. «Wir simulieren so realistisch wie möglich eine Unfallsituation», erklärt Robert Rieben.
Befürworter der Tierschutz-Initiative halten Versuche wie diesen für ethisch nicht gerechtfertigt. Es sei «unentschuldbar, wenn nicht zustimmungsfähige Tiere für Experimente missbraucht werden», sagen sie. Zudem seien Tierexperimente ineffizient. Die Körper unterschieden sich zu stark von jenen des Menschen, als dass sich daraus verlässliche Vorhersagen gewinnen liessen.
Gäbe es Alternativen?
Dafür gebe es alternative Möglichkeiten. Andere Verfahren könnten eingesetzt werden, etwa Computersimulationen oder In-vitro-Methoden, die Arbeit an Zellkulturen. Diese müssten laut den Initianten intensiver gefördert werden.
Biologe Robert Rieben zeigt in Richtung OP-Tisch und sagt: «Ich kenne niemanden, der einen Tierversuch durchführt, wenn er seine Forschungsfrage auch anders beantworten kann.» Die Wirkung in einem komplexen Organismus könne noch nicht mit Zellkulturmodellen oder Computersimulationen nachgebildet werden. Mit Annahme der Initiative dürften zahlreiche neue Medikamente in der Schweiz nicht mehr auf den Markt kommen.
Jeder Versuch muss bewilligt werden
Für Rieben ist klar: «Wir würden medizinisch gesehen zurück ins Mittelalter schlittern. Uns muss bewusst sein: Ohne Tierversuche gäbe es keine Covid-Impfung – für den Impfstoff sind Tausende von Mäusen gestorben.» Daniela Casoni ergänzt: «Auch die Therapien und Medikamente in der Veterinärmedizin basieren auf Erkenntnissen der Humanmedizin und wurden in Tierversuchen getestet.»
In der Schweiz muss jeder Versuch vom kantonalen Veterinäramt und einer Tierversuchskommission bewilligt werden. Dabei geht es darum, ob der Nutzen des Versuchs das Leid rechtfertigt, das dem Tier zugefügt wird.
Wie reagiert das Immunsystem?
Neun Stunden lang bleibt das Vorderbein von Schwein Peter vom Körper getrennt. Erst am nächsten Morgen wird es wieder angenäht. In den kommenden zwölf Stunden wollen die Mediziner prüfen, wie das Gewebe und das Immunsystem auf die Replantation reagieren. Das Säuli bleibt dabei in Narkose und wird überwacht.
Dann ist der Versuch zu Ende.
Schliesslich eingeschläfert
Aus wissenschaftlicher Sicht ist es sinnvoll, mit Tieren zu arbeiten, die möglichst nah mit uns verwandt sind. Für Ethiker jedoch stellt sich desto dringlicher die Frage: Warum behandeln wir ein Schwein, das uns so ähnlich ist, auf eine Art, wie wir es mit Menschen niemals machen würden? Projektleiter Robert Rieben fragt: «Ist es denn ethisch vertretbar, auf diese Möglichkeit zu verzichten, wenn wir damit Menschen helfen können?» Und gibt gleich die Antwort: «Ich fände das falsch.»
Säuli Peter lebt nicht mehr. Später am Abend setzt Daniela Casoni eine weitere Spritze – diese ist für den kleinen Eber tödlich. «Ihn mit angenähtem Bein auf einem Lebenshof rumhumpeln zu lassen, wäre für das Tier möglicherweise schmerzhaft und kein schönes Leben. Auch wenn es paradox klingt: Aus Tierschutzgründen gehört es zu unserer Aufgabe, es einzuschläfern.»