Test-Irrsinn bei Schwangeren
Hilfe, ich bin doch nicht krank!

Immer mehr, immer aufwendiger, immer teurer: Die Flut an Tests verunsichert Schwangere
Publiziert: 22.09.2013 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 22:29 Uhr
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Im achten Monat schwanger: Redaktorin Katia Murmann.
Foto: Geri Born
Von Katia Murmann

Der Herr Doktor sagt, Sie kommen zum Blutzuckertest», flötet die Assistentin in der Praxis meines Gynäkologen. «Es dauert drei Stunden, acht Stunden vorher dürfen Sie nicht essen und trinken.»

Sie spricht vom oralen Glukosetoleranz-Test, kurz oGTT 75. Er ist die jüngste Errungenschaft der Schwangerschaftsindustrie, soll erkennen, ob eine werdende Mutter an Diabetes leidet – und wird von der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe empfohlen. Jeder Arzt sollte den Test bei jeder Schwangeren durchführen. Auch bei mir.

Ich habe schon zwei Kinder bekommen, ohne Zuckertest. Ich will ihn nicht. Doch es gibt kein Entkommen.

Gute Hoffnung und frohe ­Erwartung waren gestern. Schwangerschaft heute bedeutet 40 Wochen in einer Testmaschinerie, die jegliches Risiko für Mutter und Kind ausschalten soll – die aber vor allem Verunsicherung schafft.

Allein für den ersten Arztbesuch zu Beginn einer Schwangerschaft sind 13 klinische Untersuchungen und Labortests vorgesehen. Bei jeder weiteren Kontrolle gehören Wiegen, Blutdruckmessung, Urintest und Blutentnahme zum Standardprogramm. Hinzu kommen Risikotests wie die Nackenfaltenmessung und der PAPP-A-Test, die das Risiko für Chromosomenschäden beim Kind berechnen.

«Wenn Sie keinen grossen Zuckertest wollen, machen wir einen kleinen», sagt mein Arzt. Ein neuer Termin, Blutentnahme, warten. Dann die Nachricht: «Ihr Blutzucker-Wert ist im oberen Grenzbereich. Sie sollten den grossen Test machen!»

Was, wenn ich Schwangerschaftsdiabetes habe? Was ist das überhaupt? Und was heisst das für das Baby in meinem Bauch? Ich lese: «Schwangerschaftsdiabetes kann zu Komplikationen bei der Geburt und beim Kind führen.» Von ­einem «abnormen Grössenwachstum des Babys» ist die Rede. Und dass Frauen über 30 zur «Risikogruppe» gehören. Ich bin 32!

Wer will schon so viel Risiko? Lieber testen. Drei Stunden sitze ich beim Arzt, ohne etwas im Magen, bewegen darf ich mich nicht. Jede Stunde wird mir Blut entnommen. Was passiert, wenn der Test positiv ist? «Dann müssen Sie zur Ernährungsberatung», sagt mein Arzt. Kalorien zählen und Essen abwiegen. «Ausserdem hätten Sie dann eine Risikoschwangerschaft.» Wie 70 bis 80 Prozent aller Schwangeren in der Schweiz. Mit noch mehr Tests, noch mehr Untersuchungen und Ultraschall bei jeder Kontrolle. 

Mein Bauch wurde in acht Monaten sechs Mal geschallt. Als das Herz des Babys einmal nicht gut zu sehen war, musste ich noch einmal antraben – der Arzt wollte das Risiko eines Herzfehlers ausschliessen. Das Geschäft mit dem Risiko floriert.

Fr. 235.20 kostet eine Ultraschalluntersuchung. Macht bei 82164 Babys, die im letzten Jahr auf die Welt kamen, mehr als 115 Millionen Franken. Die Testmaschine ist auch eine Geldmaschine. Aber schafft sie wirklich Sicherheit?

«Resultate und Befunde der Tests und Untersuchungen sind für Frauen häufig eine grosse Belastung», sagt mir die Hebamme Barbara Stocker. «Der Zustand des In-guter-Hoffnung-Sein kann schnell kippen in einen Zustand der Verunsicherung und von grossem Stress.»

Nach ein paar Tagen kommt das Ergebnis meines Zuckertests: alles in Ordnung, Aufregung umsonst.

Allerdings: Ein weiterer Test hat ergeben, dass ich zu wenig Eisen im Blut habe und eine Infusion brauche. Mein einziger Trost: In sieben Wochen ist das Baby da.

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