Es ist ihr täglicher Weg. Von der Via Alla Monda überquert Hanni R.* (†67) die Kantonsstrasse. Gegenüber liegt ihre Lieblingsbeiz. Dort nimmt sie seit über acht Jahren immer am frühen Abend ihren Apéro. So auch am vergangenen Samstag.
Die gebürtige Deutschschweizerin verlässt das Ristorante Cottini um kurz vor 19 Uhr. Sie will nach Hause zu ihrem kleinen Pekinesen. Gassi gehen. Danach will Hanni R. zu Abend essen. Es ist bereits dunkel, als sie am Zebrastreifen steht. Ein weisser Porsche in Richtung Locarno hält höflich an. Das Grosi bedankt sich, marschiert los. Doch ein Mercedes, der auf der anderen Fahrspur entgegenkommt, hält nicht.
Auf dem Bürgersteig lag ein einzelner Schuh
Der Fahrer (53) aus Locarno TI sieht die Fussgängerin offenbar nicht. Er bremst viel zu spät. Der weisse Wagen erwischt die Frau mitten auf dem Zebrastreifen, schleudert sie mehrere zehn Meter auf den harten Asphalt.
Der Unfall will der Anwohnerin (61) vis-à-vis des Fussgängerübergangs nicht aus dem Kopf. «Ich hörte einen Rums und rannte vors Haus», sagt die gebürtige Portugiesin. «Da lag sie auf der Strasse. Regungslos. Mit dem Bauch nach unten. Unter ihrem Kopf war eine Blutlache.»
Die Augenzeugin habe das Opfer nicht sofort erkannt. «Auf dem Bürgersteig lag ein einzelner Schuh. Ein Ballerinapump. Als ich den sah, wusste ich, dass da Hanni liegt. Sie trug immer solche Schuhe. Es war entsetzlich. Ich muss immer wieder an die Frau auf der Strasse denken und an das viele Blut. Ich kann gar nicht mehr schlafen.»
«Die Kantonsstrasse ist verdammt gefährlich»
Auch Loris Gianetta (41) ist zu Hause, als der tragische Unfall passiert. Der Verkäufer wohnt ebenfalls direkt an der Kantonsstrasse. «Wir sahen vom Fenster aus das Blaulicht der Ambulanz, dann wie Sanitäter die schwer verletzte Hanni auf die Bahre zogen», sagt der dreifache Familienvater. «Wir kannten Hanni. Sie gab meinen Kindern gern mal Bonbons.» Diese Strasse sei sehr befahren und verdammt gefährlich, sagt Gianetta. «Keine 100 Meter vor dem Zebrastreifen darf man noch 80 km/h fahren. Dann plötzlich gilt Tempo 50. Viele Autos sind auch im Ort noch viel zu schnell.»
Der Tessiner vermutet: «Vielleicht wurde der Mercedes-Fahrer von den Scheinwerfern des Porsches geblendet und hat deshalb nicht die Frau gesehen.» Er jedenfalls habe grossen Respekt vor diesem Übergang, «ich sage meinen Kindern – sie sind sechs, neun und elf Jahre alt – sie sollen nicht unbegleitet über diese Strasse gehen.»
Ein Gast im Cottini schimpft: «Bis vor zwei Wochen hatten wir nur wenige Meter von der Unfallstelle entfernt einen Radar. Der sorgte dafür, dass zumindest auf der Spur in Richtung Locarno, abgebremst wurde. Den Radar haben sie Neujahr abmontiert. Wer soll das noch verstehen?»