Das sagt der Direktor der Handelskammer Italien
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Coronavirus-Ticker:Das sagt der Direktor der Handelskammer Italien

Präsident des Tessiner Industrieverbandes, Fabio Regazzi (57), warnt vor Corona-Ausbruch
«Es gibt keine Strategie für den schlimmsten Fall»

Das Coronavirus ist in der Schweiz angekommen. Das Tessin hat den ersten Infizierten (70). Was jetzt? Drohen Massen-Quarantänen? Was tun mit den 70'000 Grenzgängern? CVP-Nationalrat Fabio Regazzi sieht der Situation mit Sorge entgegen, wie er im BLICK-Interview sagt.
Publiziert: 26.02.2020 um 12:27 Uhr
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Aktualisiert: 26.02.2020 um 15:28 Uhr
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Ist selbst als Unternehmer vom Coronavirus betroffen: CVP-Nationalrat Fabio Regazzi (57) im Büro seines Betriebes in Gordola TI.
Foto: www.steineggerpix.com
Myrte Müller

BLICK: Im Tessin gibt es den ersten Corona-Fall. Andere werden mit grosser Wahrscheinlichkeit folgen. Mit welchem Gefühl verfolgen Sie die Nachrichten in Italien und der Schweiz?
Fabio Regazzi:
Es ist ein ambivalentes Gefühl. Auf der einen Seite ist es die Sorge, auf der anderen Seite die Bestrebung, sachlich bleiben zu wollen und nicht in Panik zu geraten. Solange das Virus in China wütete, war man hier recht ruhig. Jetzt ist es da. Dennoch: Ich habe Vertrauen in unsere Behörden.

Elf Gemeinden in der Lombardei und in Venetien stehen unter Quarantäne. Dort können die Menschen nicht zur Arbeit gehen. Die Wirtschaft liegt brach. Welche Gefahren drohen Tessiner Unternehmen?
Zur Zeit gibt es keine negativen Konsequenzen fürs Tessin. Sollte sich jedoch das Virus nur schon im Grenzgebiet ausbreiten, wird dies auch fürs Tessin schwerwiegende Folgen haben. Wir haben fast 70'000 Grenzgänger täglich in unserem Kanton. Jeder dritte Arbeitsplatz wird von einem Grenzgänger besetzt. Seit Jahrzehnten sind sie fundamental wichtig für unsere Wirtschaft und notwendig für unser System. Fallen die Grenzgänger aus, wird das schlimm. Nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die medizinische Versorgung. Von den 28'000 Mitarbeiter in unserem Gesundheitswesen kommen 3800 aus Italien. Davon allein 120 Ärzte und 530 Krankenschwestern. Ohne die Grenzgänger fehlen uns die Ressourcen.

Wie gefährdet wäre bei einer Pandemie der Tessiner Tourismus?
Wie in anderen Wirtschaftsbereichen, zum Beispiel an der Börse, führt ein Klima der Angst zu irrationalen Handlungen in der Bevölkerung und sicher auch zu Annullierungen von Reisen. Das geschieht ja schon in mehreren italienischen Städten und Skigebieten und in Venedig.

Mit welchen möglichen Schäden muss der Südkanton rechnen?
Es ist zur Zeit noch unmöglich, das Ausmass möglicher Schäden abzuschätzen. Dauert die Krise eine Woche, können wir das stemmen. Dauert sie einen Monat oder mehr, wird die Situation schon kritisch.

Wäre eine Schadenbegrenzung möglich?
Wir können uns vorbereiten, soweit es geht. Wichtig ist, sich regelmässig zu informieren. Es gilt extreme Massnahmen, wie beispielsweise die Grenzen zu schliessen, zu vermeiden. Arbeitgeber sollten Mitarbeiter mit Symptomen unbedingt nach Hause schicken. Wenn möglich können Mitarbeiter von zu Hause aus arbeiten. Das gilt natürlich nur für bestimmte Berufsbereiche. Für das Bauwesen, die Gastronomie und Hotellerie sowie die Pflege gibt es kaum Alternativen. Die Situation ist sehr komplex.

Liegt dem kantonalen Industrieverband ein Krisenplan vor?
Es gibt kein Worst-Case-Szenario-Strategie für die Wirtschaft. Wir sind auf den nationalen und kantonalen Pandemieplan angewiesen. Für Unternehmen gibt es ein Pandemiemanagement-Handbuch vom BAG. Viren verändern sich und erfordern grosse Anstrengungen zur Anpassung der Massnahmen. Aus diesem Grund ergreift jedes Unternehmen Massnahmen, die an seine spezifische Situation angepasst sind.

Sie selbst leiten ein Unternehmen in Gordola TI. Wie bereiten Sie sich persönlich auf die mögliche Krise vor?
Wir nehmen das Problem ernst, aber wir wollen keine Panik auslösen. Wir werden in Kürze unseren Mitarbeiter die nötigen Informationen und Empfehlungen mitteilen und die Entwicklung täglich verfolgen. Für den Fall, dass sich die Situation verschlimmert, haben wir schon ein Pandemie-Team vorgesehen. Sinn ist es, eventuelle Einschränkungen soweit wie möglich zu vermeiden, wie beispielsweise durch Personalersatz vor allem in den Schlüsselpositionen, durch Telearbeit, durch Verzicht auf nicht dringliche Tätigkeiten, durch Präventionsmassnahmen und Kommunikation.

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