Ein gemütlicher Spaziergang, einkaufen im Laden um die Ecke, ein ruhiger Abend vor dem Fernseher – für Irene H.* (47) ist nichts mehr wie vorher. «Seit zwei Jahren stalkt mich mein Ex-Freund», sagt die gelernte Bäcker-Konditorin aus Ascona TI. «Er verfolgt, schlägt und beschimpft mich, droht mir sogar mit dem Tod.»
Irene H. ist am Ende ihrer Kräfte. «Ich schlafe nicht mehr, nehme täglich Beruhigungstabletten. Und das Allerschlimmste ist: Die Polizei lässt ihn einfach weitermachen.»
Elf Jahre ist Irene H. mit ihrem Freund, einem italienischen Blumenlieferanten (58), zusammen. Er besucht sie jeweils am Wochenende in Ascona, wo Irene H. mit ihrem Sohn Alessandro (heute 15) lebt. «Ich habe gekocht, seine Wäsche gewaschen. Es gab eigentlich kein Problem», erzählt Irene H. «Dann aber war meine Liebe erloschen.»
Im Januar 2011 trennt sie sich von ihm. Da dreht er durch. Der Italiener bricht zwei Monate später in ihre Wohnung ein, stiehlt ihr 3000 Franken und ihre Kleider. Er hinterlässt einen Zettel, darauf steht: «Jetzt sollst du weinen.»
Irene H. ist am Ende ihrer Kräfte
Irene H. erstattet Anzeige. Der Ex bringt die Beute zurück, zeigt sich bei der Polizei reumütig und kommt ungestraft davon. Doch «es verging kein Tag mehr, an dem er mir nicht auflauerte», sagt Irene H. «Er wartete vor der Haustür, folgte mir überallhin. Im Supermarkt oder auf der Strasse beschimpfte er mich: ‹Du Hure, du Bastardin.› Morgens und abends schaut er durch das Glas der Eingangstür in die Wohnung. Nachts lässt er das Telefon klingeln.» Die Luzernerin geht zur Polizei. «Dort sagt man mir nur: Solange er mir nichts antut, können sie nichts machen.»
Als Irene H. einen neuen Freund findet, wird auch dieser gestalkt. «Irenes Ex zerstach die Pneus meines Fiats, zerkratzte die Karosserie. Mehrfach. Fünfmal habe ich ihn angezeigt. Völlig ergebnislos. Die Polizei hat ihn nicht ein einziges Mal vorgeführt», sagt Kurt A.* (48) aus Luzern.
Der Stalker wird immer perfider. Irgendwann bezieht er sogar eine Wohnung nur wenige Meter vom Arbeitsplatz seiner Ex-Freundin. Die Kontrolle ist perfekt.
Irene H. nimmt sich schliesslich einen Anwalt. Das wirkt. Ein Tessiner Richter verfügt im März 2012: Der Ex darf sich Irene H. höchstens auf 100 Meter nähern.
Doch dann legt der Stalker erst richtig los. «Er hat mich geohrfeigt. Er ist meinem Freund mit dem Velo ins Kreuz gefahren, hat auf ihn eingeprügelt», so Irene H. «Er lauerte mir hinter einem Busch auf, schüttete mir parfümiertes Wasser ins Gesicht und sagte: ‹Das nächste Mal ist es Säure.›»
Die Polizei spottete nach Todesdrohung
Im Dezember habe er ihr auf der Strasse zugerufen: «Ich habe ein schönes Weihnachtsgeschenk. Erst bringe ich dich um, dann deinen Freund, und dann jage ich sein Auto in die Luft.» Als Irene H. die Todesdrohung der Polizei meldet, spotten die Beamten: «Sie leben doch noch!» Auch wenn die Polizei durchgreifen würde, viel ausrichten kann sie nicht. Irene H.: «Wenn er verurteilt würde, droht ihm eine Busse von 1000 Franken. Da er IV-Rentner ist, zahlt er eh nicht. Was also soll ihn abschrecken? Muss mir denn erst etwas Schlimmes passieren?»
Bleibt nur die Flucht. Irene H. «Ich werde umziehen. Doch ich fürchte, er wird mich finden.»