Taugen sie auch ohne Ausbildung?
25 Staatsanwälte haben kein Jus-Studium

Ein Bundesgerichtsurteil wirft die Frage auf: Was taugen Staatsanwälte ohne rechtswissenschaftliche Ausbildung?
Publiziert: 17.09.2018 um 04:21 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 15:26 Uhr
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SonntagsBlick-Karikaturist Igor Kravarik hat selbstverständlich ein abgeschlossenes Jus-Studium. Darum darf er hier auch zu diesem Thema zeichnen.
Foto: Igor Kravarik
Thomas Schlittler

Der Rechtsanwalt geht auf die Staatsanwältin los: «Sie sind wie ein Velomechaniker, der als operierender Arzt tätig ist!»

Der respektlose Angriff wurde 2016 vor dem Luzerner Kriminalgericht aktenkundig. Der Verteidiger hielt die Staatsanwältin für inkompetent, weil sie kaufmännisch und treuhänderisch ausgebildet ist, aber nie ein Jurastudium absolviert hat.

Weil seine «herabwürdigenden» ­Äusserungen als Verstoss gegen ­die Berufsregeln gelten, wurde der Jurist zu einer Busse von 500 Franken verknurrt. Im Frühling 2018 bestätigte das Bundesgericht das Urteil. Der Satz sei «unnötig verletzend und polemisch» gewesen. Die Lausanner Richter hielten aber auch fest, es sei «durchaus sinnvoll», über die Wählbarkeit von Staatsanwälten ohne Jus-Studium zu diskutieren.

Uni-Professor findets problematisch

Die neueste Ausgabe der Fachzeitschrift «Plädoyer» treibt die Debatte weiter: «Es fällt mir sehr schwer zu glauben, dass ein Nichtjurist die Aufgaben des Staatsanwalts erfüllen kann», so Frank Meyer, Inhaber eines Lehrstuhls für Strafrecht an der Universität Zürich.

In Luzern hatte der Fall Folgen. «Inzwischen haben alle Staatsanwälte eine juristische Ausbildung», heisst es auf Anfrage. Die als «inkompetent» bezeichnete Staats­anwältin habe sich auf eigenen Wunsch beruflich neu orientiert.

In anderen Kantonen jedoch gibt es nach wie vor Staatsanwälte ohne Jurastudium – insgesamt 25, wie eine SonntagsBlick-Umfrage zeigt. Sie verteilen sich auf Aargau (9), St. Gallen (5), Thurgau (4), Waadt (3), Appenzell Ausserrhoden und Baselland (je 2).

Die betreffenden Staatsanwaltschaften begründen dies mit der Einführung der Schweizerischen Strafprozessordnung im Jahr 2011. «Mit der Umstellung auf das Staatsanwaltschaftsmodell wollten und konnten wir nicht auf langjährige und sehr erfahrene bisherige Strafverfolger verzichten», heisst es im Aargau.

Darum habe es der Gesetzgeber ermöglicht, dass ehemalige Bezirksamtmänner, Bezirksamtmannstellvertreter und Untersuchungsrichter als Staatsanwälte tätig sein dürfen – auch ohne Jus-Studium.

Betretenes Schweigen

Dennoch scheinen die Staatsanwaltschaften mit dem Thema nicht wirklich locker umzugehen. Dafür spricht der Umstand, dass keiner der 25 Betroffenen bereit ist, sich öffentlich zum Thema seiner fehlenden akademischen Ausbildung zu äussern. Nur einer der Staats­anwälte war bereit, mit SonntagsBlick darüber zu sprechen – unter Zusicherung der Anonymität: «Ich bin überzeugt, dass ich meine Arbeit genauso gut mache wie meine Kollegen mit Jus-Studium.»

Er habe viele Jahre für die Polizei gearbeitet und so den Weg in die Strafverfolgung gefunden. Seiner Meinung nach ist die Debatte überzogen: «Ich fühle mich auch von den Rechtsanwälten in meinem Kanton akzeptiert und wurde wegen meiner Ausbildung nie verbal angegriffen. Ich habe auch nie ein Geheimnis daraus gemacht.»

Warum aber möchte er seinen Namen nicht in der Zeitung sehen? Seine Antwort: «Einige Beschuldigte können sehr uneinsichtig, unsachlich und teilweise diffamierend sein. Ich habe keine Lust auf 200 Hass-Mails!»

Zum Fall aus Luzern nimmt der ehemalige Staatsanwalt mit deutlichem Augenzwinkern Stellung: «Wenn einem Rechtsanwalt nichts Besseres einfällt, als auf den Staatsanwalt loszugehen, scheint er keine sachlichen Argumente mehr zu haben.»

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