Das Strahlen ist seine Berufung. Seit über 40 Jahren gräbt Dosi Venzin (66) in den Alpen nach Bergkristallen. Er ist einer von nur sieben Schweizer Profi-Strahlern.
Doch auch Profis machen einmal Fehler. Ein solcher hätte Dosi Venzin am 11. Mai fast das Leben gekostet.
Es passiert am Fusse des Piz Maler bei Sedrun GR. Über einer 300 Meter hohen Steilwand hat Dosi Venzin den ganzen Vormittag Erde abgetragen. Nach dem Mittagessen kehrt er zu der Stelle zurück. Doch in der Zwischenzeit ist der gefrorene Untergrund aufgetaut. Dosi Venzin will sich an die Arbeit machen – da rutscht ihm der Boden unter den Füssen weg.
Der Strahler fällt acht Meter in die Tiefe. Drei Mal schlägt er auf dem Felsen auf und landet in einer Geröllhalde. «Ich knallte mit dem Rücken auf die Steine. Ein höllischer Schmerz durchfuhr meinen Körper. Es war als hätte mir jemand in den Rücken geschossen», erzählt Venzin.
Weil er keine Luft bekommt, richtet er sich auf. Doch sein Oberschenkel ist gebrochen und er fällt gleich wieder hin. Bäuchlings und kopfvoran rutscht er auf dem Geröll weiter, Richtung Abgrund.
«Im ersten Moment dachte ich noch: Dosi, das wars. Doch dann versuchte ich verzweifelt mich mit Händen und Füssen irgendwo festzuhalten. Ich schrie: Bitte nicht, bitte nicht!» Und tatsächlich: Kurz vor der 300-Meter-Felswand findet er mit dem linken Fuss Halt.
Doch noch ist er nicht gerettet. Bei seinem Sturz hat sich Dosi Venzin beide Arme, den Oberschenkel und drei Wirbel gebrochen. Und sein Handy liegt oben am Hang. Es wäre seine einzige Rettung.
Die meisten wären wohl im Hang liegen geblieben. Nicht der zähe Bergler Dosi! Er kämpft sich, trotz Höllenschmerzen, Zentimeter für Zentimeter die 20 Meter hohe Halde hinauf. «Es ging um Leben oder Tod. Langsam robbte ich hoch. Die Schmerzen machten mich wahnsinnig. Ich schrie wie verrückt. Mein rechtes Bein baumelte nur noch so an meinem Körper.»
Nach einer schrecklich langen halben Stunde Kampf schafft es Venzin tatsächlich zu seinem Handy. Auch ohne Lesebrille schafft er es irgendwie, die Rega anzurufen. Im Delirium gibt er seine genaue Position durch. 20 Minuten später hört er den Helikopter. Er ist gerettet.
Heute liegt Dosi Venzin in der Klinik Valens im Kanton St. Gallen. Beide Arme im Gips, ein Gestell stabilisiert den Rücken. «So nah am Tod war ich noch nie. Doch ich wollte weiterleben. Ich liebe das Leben. Darum habe ich gekämpft», sagt er.
Doch auch mit seinem unbändigen Willen wäre ihm dieser Kampf kaum gelungen, ohne seinen gestählten Körper: «Dosi Venzin ist zwar schon 66 Jahre alt, doch biologisch ist er deutlich jünger als ein 50-Jähriger», sagt Christoph Sommer vom Kantonsspital Chur. Der Arzt hat den Strahler wieder zusammengeflickt.
Unglaublich: Dosi Venzin hat nicht einmal bleibende Schäden zu erwarten. Es sei denn, das Trauma der Nahtoderfahrung: «In der Nacht kommen die Bilder immer wieder hoch», sagt er. Ständig frage er sich, wie es zu diesem Fehler kommen konnte.
«Ich hatte riesiges Glück. Glück, dass ich nicht gestorben bin. Glück aber auch, dass ich nicht gelähmt bin. Das wäre für mich das Schlimmste gewesen», betont er.
An eine Rückkehr in die Berge mag er noch gar nicht denken. Im Moment ist er nur unendlich dankbar. Sein Dank gehört auch der Rega, die ihn aus höchster Not gerettet hat.
«Ohne die Rega wäre ich dort oben gestorben. Unglaublich, was diese Institution leistet. So etwas gibt es auf der ganzen Welt nicht. Und ich bin weit herumgekommen», sagt Dosi Venzin.
Dann geht er zur Physiotherapie. Er sei ein vorbildlicher Patient sagen die Ärzte.