Stefan Ritler (56), Leiter der Invalidenversicherung, über die umstrittenen Praktiken der IV
Wird die IV zu Recht kritisiert?

IV-Empfänger beklagen sich über menschenunwürdiges Verhalten von «Schreibtischtätern» der IV. Sie werden von Existenzängsten geplagt. Stefan Ritler, Leiter der Invalidenversicherung, nimmt Stellung
Publiziert: 11.12.2014 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 20:28 Uhr
«Unsensibles Verhalten ist kein Programm», wehrt sich Stefan Ritler für IV-Rentner.
Foto: Peter Gerber

Blick: Stefan Ritler, läuft die Umsetzung der 6. IV-Revison nicht so effizient wie geplant?
Stefan Ritler: Die IV war viele Jahre zu grosszügig bei der Zusprache von Renten. 2009 sind wir von 12500 Renten ausgegangen, die wir einsparen können. Wir haben jedoch die Zahl der Renten unterschätzt, die wir hinaufsetzen müssen. Der Zustand eines IV-Bezügers kann sich ja immer auch verschlechtern, dann hat er Anspruch auf mehr Rente. Gleichzeitig haben wir die Anzahl der Renten überschätzt, die wir reduzieren oder streichen können.

Warum denn?
Die betroffenen Personen, die unter den nicht objektivierbaren Krankheiten leiden, haben meistens noch ein zweites Leiden, das sie einschränkt. Zum Beispiel Depressionen. Was aber die finanzielle Situation der IV betrifft, haben wir bei der Sanierung drei Jahre Vorsprung auf unsere Zielsetzung durch vorangegangenen Revisionen.

Haben Sie bei der 6. Revision medizinische Aspekte unterschätzt?
Nein, wir konnten nicht wissen, in wie vielen Fällen andere medizinische und relevante Befunde vorhanden waren.

«Wiedereingliederung vor Rente» ist das Motto der IV. Geringe Teilzeitpensen, wie sie IV-Bezüger oft nur bewältigen können, sind in der Wirtschaft rar.
Hier muss ein Umdenken stattfinden! Wer zum Beispiel zu 50 Prozent erwerbsfähig ist, braucht nicht einen Job für zweieinhalb Tage, sondern einen, bei dem 50 Prozent Leistung genügen. Die IV gleicht die fehlende Hälfte aus.

Viele IV-Rentner fühlen sich ausgeliefert, beklagen sich über den harschen Ton der Berater.
Ich bin im Kontakt mit den IV-Stellen und weiss, dass es das gibt, aber es sind Einzelfälle. Wer sich unwürdig behandelt fühlt, kann sich bei der Stellen-Leitung beschweren. Dazu rate ich. Unsensibles Verhalten gegenüber IV-Rentnern ist kein Programm!

Die Gutachterstellen sind in der Kritik. Die sogenannten Flugärzte aus dem Ausland, die eingesetzt werden, seien später nicht mehr greifbar. 
Die Zuweisung zu einer anerkannten Gutachterstelle erfolgt per Los. Alle Ärzte, die für die IV Gutachten erstellen, unterliegen den gleichen qualitativen Anforderungen.

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