Es ist mäuschenstill im Saal des Bezirksgerichts Baden AG, als sich D. H.* (32) am Dienstagmorgen auf den Anklagestuhl setzt. Eine zierliche Frau, in einem blau-weiss gestrickten Oberteil. Scheinbar harmlos.
Doch die Anklage ist heftig: D.H. soll weggesehen haben, als ihr damaliger Freund Marc L.* (40) ihren Sohn Philipp (†2) in der gemeinsamen Wohnung in Fislisbach AG misshandelt und am Ende gar zu Tode geschüttelt haben soll. Er ist ebenfalls angeklagt, muss heute vor Gericht aussagen.
D. H. sprach gestern leise, als die Gerichtspräsidentin sie befragte. «Es geht mir schlecht», sagt sie. Und erzählt zuerst vom Vater ihres Sohnes und dass Philipp «ein Wunschkind» gewesen sei. Doch ihr Ex-Mann sei ihr gegenüber «gewalttätig» geworden. Im Oktober 2013 kam es zur Trennung, es gab aber weiterhin Probleme.
Er nannte ihn Papa
Im Frühling 2014 lernt sie Marc L. kennen. Schon nach wenigen Wochen ist er meist bei ihr und ihrem Sohn. «Er hatte Mitgefühl mit mir», sagt D. H. Denn: Marc sei auch misshandelt worden, vom Stiefvater. Das Paar ist da noch glücklich. «Marc freute sich, dass Philipp Papa zu ihm sagte.»
Was dann laut Anklage monatelang geschieht, will D. H. nicht mitgekriegt haben. Ihr Bub hat immer wieder Hämatome, Kratzer, Würgemale, Beulen, Verbrennungen oder Schnitte am Körper – offenbar von Marc L. zugefügt. Über 20 teils massive Verletzungen sind dokumentiert.
D. H. sah diese. Sie ging auch zum Arzt oder ins Spital. Doch sie hatte jedes Mal eine Erklärung: Ihr hyperaktiver Sohn sei beim Spielen gestürzt, in den Tisch gerannt, habe sich am Tee verbrannt oder an einer Scherbe geschnitten.
Doch je näher es bei den Befragungen zum Todestag ihres Sohnes kommt, umso weniger kann oder will sich D. H. erinnern, was am Ende geschah. Nachbarn hörten damals laute Schreie.
Sie vermisst ihren Sohn
Vor Gericht weint D. H. mehrmals. Sie sagt, sie vermisse ihren Sohn, sei bei Marc naiv gewesen, lenkt dann aber wieder ab: «Es hat niemand mit mir über Kindesmisshandlung gesprochen.» Nur: Einvernahmeprotokolle mit Ärzten sagen etwas anderes.
Wirkliche Hilfe wollte D. H. nie. Warum? «Ich habe mich negativ beeinflussen lassen», sagt sie schliesslich. Sie habe Angst gehabt, dass der Vater ihres Sohnes das mit den Verletzungen mitbekäme – und sie Philipp verlieren würde.
Die Staatsanwältin ist sicher: D. H. hätte erkennen müssen, was ihr Ex-Freund ihrem Sohn antat. Sie fordert für sie wegen fahrlässiger Tötung 14 Monate Gefängnis bedingt.
Marc L. soll für 13 Jahre in den Knast – wegen vorsätzlicher Tötung. Er hatte mal ausgesagt, dass er Philipp «ganz kurz» geschüttelt habe, weil er weinte. Er habe nicht gewusst, dass dies gefährlich sei. Ob er am Mittwoch, dem zweiten Prozesstag, dabei bleibt?
* Namen der Redaktion bekannt