Die Rebellen wurden überrannt. Nur zwei Tische hatten sie für ihr Newcomer-Treffen an diesem Mittwochabend im Zürcher Cabaret Voltaire reserviert. Doch es kamen mehr als 50 Menschen. Die meisten sind jung, gebildet und fragen sich: Wie retten wir das Klima?
Eine Antwort erhoffen sie sich von denen, die etwas erhöht stehend auf die Interessierten schauen. Unter ihnen ein junger Sozialarbeiter mit blauem Irokesenschnitt, eine Frau mit schwarzen Stiefeln, ein hagerer Mann in Cargohose mit ausgebeulten Taschen.
Kritische Fragen aus dem Publikum
Die Leute auf der Bühne gehören zu Extinction Rebellion, einer Gruppe von radikalen Umweltschützern, die derzeit weltweit Strassen und Verkehrsknotenpunkte in Städten blockiert, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen.
Mit so grossem Interesse haben die Klimarebellen im Zürcher Niederdorf nicht gerechnet. Mit so kritischen Fragen aus dem Publikum allerdings auch nicht.
«Warum macht ihr nicht einfach eine Volksinitiative?», will eine junge Frau wissen. Eine andere: «Stimmt es, dass Rechtsextreme bei euch willkommen sind?»
Extinction Rebellion (XR) steht heftig in der Kritik. Die deutsche Soziologin Jutta Ditfurth, die vor 40 Jahren die Grünen mitbegründet hat, wirft XR unter anderem «Hyperemotionalisierung» vor, eine extreme Steigerung der Gefühle. Ditfurth sieht in XR eine «religiös-gewaltfreie esoterische Sekte, welche an die baldige Auslöschung der Menschheit glaubt und Selbstopferung empfiehlt». Auch an der Schweizer Newcomer-Veranstaltung fällt rasch der Begriff «Opferbereitschaft».
Je spektakulärer, desto besser
Die Rebellen winden sich. Man habe in Sachen Klimakrise ausser zivilem Widerstand «alles ausgeschöpft». Und was die Aufnahme von Menschen mit rechtsextremem Gedankengut angehe: Es sei «schwierig», so jemanden einzubinden, aber man sei eben «nicht politisch».
In Wirklichkeit ist Extinction Rebellion hoch politisch. Die Bewegung sieht die angeblich vom Aussterben bedrohte Menschheit in einer «beispiellosen globalen Notsituation» und will Bürgerversammlungen einberufen, um die Treibhausgas-Emissionen bis 2025 auf null zu reduzieren. Für «Die-ins» legen sich die Klimarebellen Flashmob-artig wie tot auf den Boden oder veranstalten «Trauermärsche» in blutroten Kostümen. Je spektakulärer, desto besser.
Festnahmen werden in Kauf genommen, Konfrontation mit der Bevölkerung ebenso. Den Klimarebellen ist es gleichgültig, wenn Taxifahrer durch die Blockaden Einbussen erleiden, Mütter ihre Kinder nicht in die Krippe bringen können, Berufstätige nicht zur Arbeit kommen.
In der Schweiz ist Extinction Rebellion vergleichsweise klein. An die 15 Ortsgruppen gibt es bislang. Am 20. September blockierten in Lausanne 200 von ihnen die Bessières-Brücke. Zehn Tage zuvor hatten Aktivisten die Limmat in Zürich grün eingefärbt.
Gewaltsteigerungs-Potenzial ist unbegrenzt
Neue Mitglieder rekrutieren die radikalen Umweltschützer in den Reihen der Klimajugend. Deren Potenzial hat XR früh erkannt. Gleich am zweiten Vormittag ihres europäischen Gipfeltreffens in Lausanne war Rupert Read per Videokonferenz zugeschaltet, der Hausphilosoph von Extinction Rebellion. XR-Gründer Roger Hallam, derzeit in Untersuchungshaft, schaute in Lausanne sogar persönlich vorbei.
Manchen Klimajugendlichen gehen die Schulstreiks längst nicht mehr weit genug. Klimastreik-Aktivist Dominik Waser etwa will in der Schweiz XR Youth aufbauen – eine Art klimaradikale Jugendorganisation. Mindestens ein Dutzend der Schweizer Klima-Teenies ist zu den Blockaden ins Ausland gefahren. «Ich finde es wahnsinnig cool», schwärmt ein junger Aktivist aus Zürich. «Und ich finde es auch schön, dass man so nett zur Polizei ist.»
XR bemüht sich, mit den Sicherheitsbeamten zusammenzuarbeiten – noch. Gewaltfreiheit gehört offiziell zum Konzept. Doch die Blockaden wie vergangene Woche in Berlin, Amsterdam, London und Paris liegen für die Klimarebellen lediglich auf «Aktionslevel 0». Die Steigerungsmöglichkeiten sind unbegrenzt. Wie es der Plan britischer Klimaaktivisten offenbart, den Londoner Flughafen Heathrow mit Spielzeugdrohnen lahmzulegen.
Was kommt als Nächstes? Und was in der Schweiz? Gleich mehrere Interessierte im Cabaret Voltaire wollen das am Mittwochabend wissen. Doch die drei Sprecher blocken ab. Vielleicht wissen auch sie selbst es noch nicht. Klar ist nur: Es soll gross werden. Sehr gross.