Die Bundesangestellte A. sitzt in ihrem Büro im Bundeshaus. Sie kramt ihr Handy hervor. Die hübsche Brünette schiesst ein Foto von sich selbst, ein Selfie. Dabei zieht sie den Ausschnitt ihres Kleides zur Seite, damit ihre linke Brust zu sehen ist. Sie schickt das Bild auf ihren Twitter-Account. Damit ist es im Internet veröffentlicht.
Wer will, kann den Busenblitzer sofort sehen. 12000 haben A.s Account abonniert, gehören zu ihren «Followern» – sehr viele für Schweizer Verhältnisse.
Das Foto an ihrem Arbeitsplatz wird der Mutter eines Teenagers zum Verhängnis. Ein Journalist der «Neuen Zürcher Zeitung» erkennt das Büro und berichtet am Mittwoch über die «freizügige Sekretärin». A. twitterte regelmässig neue Nacktbilder aus dem Bundeshaus. Sie veröffentlichte auf diesem Weg auch massenhaft Bilder, die sie beim Sex zeigen. Zusammen mit ihrem Partner dreht sie harte Pornofilme – und berichtete über Twitter regelmässig von neuen Drehs.
Die Parlamentsdienste, ihr Arbeitgeber, sehen den guten Ruf des Schweizer Parlaments in Gefahr und suspendieren A. noch am selben Tag. Dies, nachdem blick.ch und andere Medien gepixelte Nacktfotos der Sekretärin publizierten. Wohl ein Schock für die Frau, denn wenige Stunden zuvor hatte sie den Account und alle Bilder gelöscht – wie sie glaubte.
Konsequente Aufklärung
Doch brisante Fotos, die im Internet veröffentlicht wurden, kann man nicht einfach löschen. Sie sind noch sehr lange auffindbar. Suchmaschinen haben den Account von A. gespeichert. Er kann, wie beim Papierkorb auf dem Computer, mit einem Klick wiederhergestellt werden.
«Das ist wie bei einem Buch in einer Bibliothek», sagt Informatik-Crack Guido Rudolphi (52). «Wenn Sie ein Bild im Internet löschen, dann ist das, wie wenn Sie in der Bibliothek die Karteikarte entfernen. Das Buch ist aber immer noch da.» Erst nach einiger Zeit verschwinde das Bild – vielleicht. Bei Social-Media-Plattformen wie Twitter werden viele Inhalte gar automatisch kopiert und an anderen Orten im Internet erneut publiziert. Das Internetarchiv Wayback Machine speichert Milliarden Websites ab, die noch auf Jahre abrufbar sind. So verliert der Nutzer jegliche Kontrolle.
Rudolphi spürt als Informatik-Detektiv Bilder und Dokumente auf, im Auftrag von Unternehmen und Privaten, aber auch von Staatsanwaltschaften. Er weiss, wie fahrlässig User im Internet mit ihren Fotos umgehen. «Wenn es plötzlich heiss wird, meinen sie, sie könnten alles mit einem Klick löschen. Aber selbst ein Profi braucht Monate, bis Spuren im Internet gelöscht sind.» Und selbst dann finde man noch Überreste.
Gerade bei Fotos unterschätzten viele die Wirkung: «Wenn ich sage, dass die Sekretärin Pornos dreht, kann jeder das Gegenteil behaupten. Zeige ich aber ein Bild von ihr, das sie beim Porno-Dreh zeigt, wird dies viel schwieriger.»
Nacktfotos werden A. bis ins Alter verfolgen
Die Bilderfalle Internet droht uns allen, ob wir wollen oder nicht. Urs Kiener, Psychologe bei Pro Juventute, spricht vom «gesellschaftlichen Wandel», der dem technischen Wandel nicht mehr hinterherkomme: «Viele glauben, dass die neuen Medien wie die normale Welt funktioniert. Das ist aber nicht der Fall. Im Internet gibt es keine Intimität, keine Privatsphäre.» Kiener fordert konsequente Aufklärung: «Wer verhängnisvolle Bilder ins Internet stellt, tut dies oft aus Unbedarftheit. Das gilt für Jugendliche und Erwachsene.»
Die Konsequenzen können für den Einzelnen dramatisch sein, wie der aktuelle Fall zeigt. Jeder kann in die Internetfalle tappen. Das Bild vom Oktoberfest in München, das dem Bankangestellten die Bewerbung vermiest. Oder die Oben-ohne-Ferienfotos aus Teneriffa, die eine Anwältin wichtige Klienten kosten. Erst kürzlich machte der als Luzerner Kult-Motzer bekannte Massimo Portmann (24) publik, dass er Schwierigkeiten habe, einen Job zu finden. Potenzielle Arbeitgeber waren auf seinen Youtube-Kanal gestossen, auf dem er giftige politische Videobotschaften verbreitete.
Wieso veröffentlichen so viele Menschen Bilder und Videos im Internet, die ihnen zum Verhängnis werden können?
«Im Grunde sind alle Menschen eitel», sagt SonntagsBlick-Psychologin Caroline Fux (33). «Wem gefällt es nicht, wenn er für ein schönes Foto von sich hundert Likes auf Facebook bekommt? Diese Bestätigung tut allen gut.» Die Suche nach Anerkennung könne sich jedoch rasch zur Sucht entwickeln. Sekretärin A. müsse sich mit ihren 12000 Followern fast schon wie ein Rockstar gefühlt haben. Fux: «Das setzt eine wahnsinnige Energie frei – und inspiriert zu weiteren Bildern. Sie hat sich wohl selbst belogen, wenn sie glaubte, dass ihr Arbeitgeber das nicht herausfindet.»
Die beurlaubte Sekretärin ist mittlerweile mit ihrem Kind untergetaucht. Dass die Nacktbilder A. den Job kosten, wie aktuell diskutiert wird, hält Rechtsprofessor Urs Saxer (57) aber für unwahrscheinlich.
Dem Rummel um ihre Person kann A. gleichwohl nicht entfliehen. Sie möchte, dass die Bilder endlich verschwinden. Ein frommer Wunsch. Oder wie Informatik-Detektiv Rudolphi sagt: «Diese Fotos werden die junge Frau noch bis ins hohe Alter verfolgen.»