Seismologe zur Erdbeben-Gefahr in der Schweiz
«Prognosen sind unmöglich»

Das gestrige Beben war eines der stärksten seit Jahren in der Schweiz. Die Schäden sind bisher minim – der Schreck aber sitzt der Bevölkerung in den Knochen.
Publiziert: 07.03.2017 um 10:57 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 23:07 Uhr
Interview: Céline Krapf

Mit einer Magnitude von 4,6 auf der Richterskala entlud sich gestern eine Spannung in den Alpen – und produzierte damit eines der stärksten Erdbeben seit Jahren, das landesweit spürbar war. Beim Schweizerischen Erdbebendienst der ETH Zürich gingen zahlreiche Reaktionen ein, wie Seismologe Philipp Kästli sagt.

BLICK: Wo waren Sie, als um 21.12 Uhr die Erde bebte?
Philipp Kästli: Zu Hause im Aargau. Ich habe aber nichts gespürt.

Welche Folgen hatte das Beben?
Das Beben war im Umkreis von rund 100 Kilometern in der ganzen Schweiz spürbar, von Zürich über Bern bis ins Tessin, zu Schäden kam es jedoch höchstens vereinzelt. Auf das starke Erdbeben folgten auch mehrere Nachbeben, die jedoch schwächer ausfielen und meist nicht spürbar waren. Dies wird erfahrungsgemäss auch über die nächsten Stunden und Tage so weitergehen. Theoretisch kann es sein, dass erneut ein starkes oder gar stärkeres Beben folgt – die Wahrscheinlichkeit dafür ist jedoch gering. Mit dem Beben kam es auch zu Verschiebungen an der Oberfläche. Zwar wirkten nur schwache, vertikale Kräfte, trotzdem kam es wohl zu permanenten Veränderungen – jedoch nur im Milimeter-Bereich.

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Ab welcher Stärke kommt es zu Schäden?
Ob Schäden auftreten, ist von diversen Faktoren abhängig: Einerseits hängt dies von der Tiefe und dem Ort des Bebens ab, andererseits von den Gebäuden und dem Untergrund. Grundsätzlich ist ab einer Stärke von 4,5 potentiell mit Schäden zu rechnen – in diesem Fall war das Glück, dass das Erdbebengebiet schwach besiedelt ist.

Wie hoch ist die Erdbebengefährdung der Schweiz?
Im Vergleich mit ganz Europa ist die Gefährdung im mittleren Bereich: Die Gefahr eines Bebens ist definitiv höher als in Zentral- und Nordeuropa, jedoch tiefer als beispielsweise in Italien oder Griechenland. Das Risiko ist jedoch in der ganzen Schweiz nicht gleichmässig verteilt. So das Wallis, Basel, das Rheintal, Bündnerland und die nördlichen Voralpen eher Gefahr, von einem Beben erschüttert zu werden, als das Mittelland und das Tessin. Mit einem Erdbeben der gestern erlebten Stärke wird in dieser Region rund alle drei bis fünf Jahre gerechnet. Weltweit ist die Schweiz nicht ausserordentlich gefährdet

Karte mit verspürten Erdbeben in der Schweiz
Foto: Keystone

Wie gut sind wir in der Schweiz vor Erdbeben geschützt?
Die Gebäude werden seit den 90er-Jahren erdbebensicher gebaut. Besonders in den gefährdeten Gebieten achtet man bei Neubauten darauf, dass diese Normen eingehalten werden. Zusätzlich dazu wurden dort auch Spitäler, Brücken, Polizeiposten und andere wichtige Infrastruktur nachträglich erdbebensicher gemacht.

Können Sie Erdstösse voraussagen?
Prognosen für Erdbeben zu stellen, ist für uns unmöglich. Die verantwortlichen Verwerfungen liegen mehrere Kilometer im Erdinnern, wo wir keinen Zugang haben. Wir greifen deshalb auf statistische Gefährdungsmodelle zurück, bei denen wir das mögliche Erdbebenvorkommen mittel- und längerfristig ausrechnen können. Zusätzlich dazu existieren Notfallkonzepte, die im Falle eines starken Bebens zum Einsatz kämen.

Das richtete das Beben an
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Leser filmen Schäden:Das richtete das Beben an

Etwas, was aber crashte, war die Internetseite Ihres Erdbebendienstes.
Ja, wir hatten unglaublichen Zugriff. In den ersten Minuten hatten wir auf seismo.ethz.ch 500'000 Requests pro Minute! Die Seite war neu. Nun kennen wir die Schwachstelle.

Wie kommt die Meldung auf die Seite?
Wir haben 150 Seismometer in der Schweiz. Die erfassen Erschütterungen und senden ihre Daten nach Zürich. Es geht 45 Sekunden, bis die Meldung online ist. Vollautomatisch!

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