Schwerverbrechen nach 30 Jahren ad acta gelegt – jetzt fordern Staatsanwälte, Politiker und Angehörige:
Mord darf nicht verjähren!

In der Schweiz verjährt Mord nach 30 Jahren. Jetzt fordern Angehörige von Opfern, Staatsanwälte und Politiker: Diese Regelung muss weg!
Publiziert: 06.03.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 17:40 Uhr
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Robert Siegrist verlor beim Fünffachmord von Seewen SO seine Eltern.
Foto: Toini Lindroos
Walter Hauser und Katia Murmann

Beim tragischen Fünffachmord von Seewen SO verlor Robert Siegrist (60) seine Eltern. Elsa (†62) und Eugen Siegrist (†63) wurden an Pfingsten 1976 in ihrem Ferienhaus aus nächster Nähe erschossen, zusammen mit drei weiteren Verwandten. 13 Schüsse feuerten der oder die Täter ab. Robert Siegrist, damals 20, blieb allein zurück – und hofft bis heute, dass der Mörder seiner Eltern irgendwann gestellt wird.

In einer Serie berichtet SonntagsBlick seit vier Wochen über die grössten Schweizer Rätselmorde, über den Fall Seewen, aber auch über den Kristallhöhlenmord im Jahr 1982 an Brigitte Meier (†17) und Karin Gattiker (†15). In diesen Fall kommt nun erneut Bewegung. Eine Frau, N. H.*, behauptet, den Mörder zu kennen. Es handle sich um einen Mann, der im Sommer 1982 im Gebiet der Kristallhöhle bei Oberriet SG gezeltet habe. Er sei Lehrer gewesen, habe weisse Turnschuhe getragen und eine Stirnglatze gehabt. Ein Wirt habe seine Beobachtungen der Polizei gemeldet, doch diese habe den Hinweis nicht ernst genommen. Die Polizei wollte sich dazu nicht äussern.

Doch selbst wenn es neue Erkenntnisse gibt: Die Rätselmorde werden nie aufgeklärt werden. Denn in der Schweiz verjährt Mord, anders als in Deutschland oder Österreich, nach 30 Jahren. Den Ermittlern sind die Hände gebunden. «Selbst wenn wir neue Hinweise hätten, könnten wir sie nur entgegennehmen», heisst es bei der Staatsanwaltschaft St. Gallen. Sobald es aber Zwangsmassnahmen braucht – Hausdurchsuchungen oder Untersuchungshaft –, ist dies von Gesetzes wegen nicht mehr möglich.

Das will eine breite Allianz aus Politik, Justiz und Angehörigenvertretern nun ändern. Ulrich Weder (65), Leiter der Zürcher Staatsanwaltschaft für Gewaltdelikte, stellt klar: «Es ist stossend, wenn ein Verfahren nach 30 Jahren definitiv eingestellt wird und keine Ermittlungen mehr getätigt werden dürfen.» Bei schweren Gewaltdelikten wie Mord sei die Betroffenheit vor allem der Angehörigen enorm, auch nach 30 Jahren.

Das Gesetz, so Weder, «ist alles andere als opferfreundlich».Schliesslich sei es durchaus möglich, dass ein Mörder auch nach vielen Jahren überführt werden könne. «Wieso soll er dann nicht mehr belangt werden können – ausgerechnet beim schwersten Delikt, das unsere Rechtsordnung kennt?», fragt Weder. Die Verjährung sei ein Hinderungsgrund für Ermittlungen. Bei Straftaten von Pädophilen wurde sie in der Schweiz 2008 abgeschafft. «Umso mehr muss dasselbe beim schwersten aller Verbrechen gelten.»

Auch Strafrechtler Daniel Jositsch (50) ist für die Abschaffung der Verjährung bei Mord. «Das ist ein völlig falsches Signal», sagt er. Es gebe heute Beweismittel, die man früher nicht gekannt habe. «Und die Entwicklung geht weiter. Darum sind zeitliche Barrieren für die Verfolgung so schwerer Verbrechen sachlich ungerechfertigt.» Jositsch plädiert für das englische Modell: Dort wurde die Verjährung bei Mord abgeschafft, gleichzeitig werden aber Strafmilderungsgründe berücksichtigt, wenn die Tat lange zurückliegt.

Im Parlament aktiv wird SVP-Nationalrat Alfred Heer (54). Er hat bereits 2010 in einem Vorstoss gefordert, die Verjährung von Mord abzuschaffen. Nun will er einen neuen Vorstoss zur Änderung des entsprechenden Artikels im Strafgesetzbuch machen. «Inzwischen wurde die Verjährung bei Sexualdelikten abgeschafft», so Heer. «Es ist nicht logisch, die Verjährung bei Mord beizubehalten.»

Auch Robert Siegrist hofft, dass die Verjährung bei Mord abgeschafft wird. «Wenn neue Erkenntnisse über einen Fall vorliegen, müssen die Ermittler handeln können», sagt er. Hauptverdächtig im Fall Seewen war Carl Doser. Er ist seit 1977 wie vom Erd­boden verschluckt und wäre heute 69 Jahre alt. «Wenn er wider Erwarten irgendwo auf der Welt festgenommen werden würde, müsste man ihn befragen und even­tuell sogar anklagen können.»

*Name der Redaktion bekannt

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