Schweizer Entführungsopfer Marc W. erzählt
«Nach meinem Fluchtversuch schlugen sie mich bewusstlos»

Sieben Tage lang war Flugbegleiter Marc W.* (47) im Kosovo in der Hand von Entführern und wurde mit dem Tod bedroht. In die Falle gelockt hatte ihn sein Freund Daniel* (37). Exklusiv erzählt der Zürcher BLICK-Reporter Hannes Heldstab von seinem Höllentrip.
Publiziert: 10.04.2008 um 21:35 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 15:14 Uhr

Es war ein spontaner Entscheid, am Ostermontag für zwei Tage in den neuen Staat Kosovo zu fliegen. Mein Freund Daniel musste mich nicht lang überreden.
Um 9.40 Uhr landeten wir in Pristina. Es regnete wie aus Kübeln. Ein Bekannter von Dani, ein Albaner, holte uns mit einem uralten Golf ab. Nach ein paar Stunden Fahrt checkten wir im Städtchen Gjakova im gleichnamigen Hotel ein.

Wir mieteten einen Opel Omega. Nach dem Nachtessen und ein paar Drinks in einer Bar wollten wir gemeinsam mit dem Albaner noch dessen Schwester zu besuchen.
In einer bergigen Gegend wurde unser Auto plötzlich von drei maskierten Gangstern gestoppt. Sie schrien, schossen in die Luft und rissen uns aus dem Opel. Mir stülpten sie einen roten Plastiksack über den Kopf. Der Albaner fesselte mir die Hände auf den Rücken und sagte auf Deutsch: «Mach, was die sagen, sonst töten sie uns alle.»

Durch Matsch und Dreck gings ein ganzes Stück bergan. Ich erstickte fast unter dem Plastiksack. Ich fürchtete um mein Leben. Immer wieder bekam ich Schläge oder Stösse mit Gewehrkolben und mit Fäusten. Blind stolperte ich durchs Gelände. Plötzlich sagte einer «Füsse hoch, da ist eine Treppe.»

Wir waren bei einer Bauruine. Sie brachten mich in einen kahlen Raum, mein Verlies. Dani und der Albaner blieben unten. Sie filzten mich, nahmen mir alles ab. Ich hatte praktisch alles dabei, weil Dani im Hotel noch gesagt hatte: «Nimm alles mit. Bei dir ist es sicherer.»
Ich wurde zu Boden geschleudert, getreten und angeschrien «Schlaf du Drecksau, sonst du tot.»

Es war sehr kalt. Im Gang machten die Maskierten ein Feuer. Ich geriet in Panik und sprang vom
1. Stock hinaus in den Schnee. Aber ich schaute unten erneut in Gewehrläufe. Daniel und seinen Albaner-Kumpel sah ich in einem der Zimmer beisammenstehen.
Dann wurde ich bewusstlos geschlagen. Als ich wieder zu mir kam, war ich an Hals, Händen und Beinen gefesselt. Im Mund hatte ich einen dreckigen Lappen.

Ich weinte vor Angst und Wut und flehte einen der Maskierten um eine Zigi an. Er gab mir grinsend einen Stummel. «Das ist dein letzter Zug, dann du tot» sagte er noch.

Gegen 3 Uhr kamen die Maskierten mit Daniel und dem Albaner zu mir. Man hielt mir ein Gewehr an den Kopf. Dani sagte, was ich schreiben müsse: «Ich bevollmächtige hiermit meine Bank ZKB, dass mein ganzes Vermögen und alle Wertschriften auf folgendes Konto in Prag transferiert werden.» Dann wurde die Bankverbindung eingesetzt. Dazu Datum und Unterschrift. Dani musste das Gleiche auch schreiben. Er hat ein Konto in Prag. Das wusste ich. Denn da arbeitete er mal. Das machte mich erstmals stutzig.

Dani bekam dann von den Kidnappern seinen Pass zurück und musste am 25. März zurück in die Schweiz reisen. Er behauptete, er müsse mein Schriftstück bei der ZKB einwerfen. Aber er ging direkt zu meinem Vater, gab ihm meine Bank- und Kreditkarten und erzählte ihm von meiner Entführung. Das log er danach auch der Zürcher Kantonspolizei vor. Man habe ihn etwa zehn Stunden verhört, sagte er, als er wieder im Kosovo aufkreuzte.

Während er weg war, tauchte plötzlich seine Freundin auf. Sie sei direkt aus den USA hierher geflogen, um uns zu helfen. Ich hatte Miriam* erst ein paar Wochen zuvor kennengelernt. Dani stellte sie mir als Model vor. Mittlerweile weiss ich, dass sie eine Prostituierte ist.
Die Kidnapper hatten mich inzwischen von der Bauruine nach Gjakova zurückgebracht. Ins Apartement Nr. 11 im dritten Stock eines Hauses.

Die Entführer sagten mir, sie hätten jetzt auch die Mutter des Albaners als Geisel. Wenn wir abzuhauen versuchten, würde diese sowie Miriam, Dani und ich sofort erschossen. Allerdings müsse für die Albanerin 500 000 Franken Lösegeld beschafft werden.

Ich sollte mit Miriam in die Schweiz fliegen und 250 000 Franken von meinem Konto holen, 250 000 würde Miriam besorgen. Allerdings bekam die Deutsche kalte Füsse. Also «einigte» man sich darauf, dass Dani und ich zusammen fliegen. Wir bekamen unsere Pässe, 200 Euro und ich auch meine ID von der «Swiss».

Am 31. März wurden wir um sechs geweckt und fuhren per Taxi die 50 Minuten zum Flughafen. Dort zeigte ich meine Swiss-Crew-ID und liess dem Kapitän von Swiss-Flug LX 8691 ausrichten, es sei ein Notfall, ich müsse dringend heim.

Wir kamen problemlos durch die Passkontrolle. Der Beamte fragte noch, ob wir es schön gehabt hätten und wieder in den Kosovo kämen. Es war der reinste Hohn. Denn ich sah total verprügelt aus.

Fünf Minuten vor dem Boarding gabs dann Action. Die Flughafenpolizei verhaftete uns. Dani sagte noch, sag denen kein Wort. Das sind alles Kriminelle. Aber weil ich Verdacht geschöpft hatte, sagte ich den Polizisten, sie sollen Dani in ein anderes Zimmer bringen.

Leute einer Sondereinheit verhörten mich dann ganz massiv. Plötzlich umarmte mich einer und sagte: «Marc, du bist das Opfer».

Wie Schuppen fiels mir von den Augen. Mein Freund hatte mich verraten und verkauft und sogar schwer misshandeln lassen. Ich durfte ins Hotel, wurde unter Polizeischutz gestellt. Ich wollte heim, einfach nur noch heim.

Am 4. April brachten mich Leute der Spezialeinheit mit einem Geländewagen zu der Bauruine in den Bergen. Mit dabei war auch Kanzleichefin Jocelyne Berset von der Schweizer Botschaft.

Beim Verliess fanden die Fahnder den roten Plastiksack, den man mir über den Kopf gestülpt hatte. Im Dachgeschoss meinen blutverschmierten Schlafsack, dazu auch die Drahtfesseln.

Sofort fuhren wir danach zum zuständigen Staatsanwalt nach Peja. Auch die Anwälte der fünf Verhafteten waren da. Von 13 Uhr bis abends 20 Uhr gab es Einvernahmen mit einer Übersetzerin. Und immer wieder musste ich auch Fragen der Gegenanwälte beantworten. Diese wollten mich lächerlich machen. Sie sagten, für ein misshandeltes Entführungopfer sähe ich echt gut aus.

Dann sagte mir der Staatsanwalt: «Marc, morgen fliegen sie heim.» Mir kamen fast die Tränen.
Aber noch wars nicht ganz soweit. Ich musste in Pristina im Knast den wütenden Dani, seine Freundin Miriam und die drei meiner Quäler identifizieren. Letzten Samstag durfte ich endlich ausreisen. Aus zwei Tagen Kosovo-Plausch-Trip waren 13 Horror-Tage geworden.

* Namen der Redaktion bekannt.

Der Fall – Gekidnappt im Kosovo
Der Zürcher Marc W. (47) wurde zusammen mit seinem Freund Daniel S. (37) am Ostermontag ausserhalb der Stadt Gjakova von Maskierten verschleppt. Die Entführer forderten 500 000 Franken Lösegeld. Sieben Tage lang hielten die Kidnapper die beiden Schweizer in einer Bauruine in den Bergen fest. Dann sollten W. und sein Freund in die Schweiz zurückreisen, um das Lösegeld abzuholen. Am Flughafen Pristina wurden beide verhaftet. Schnell stellte sich heraus: Der arbeitslose Bankfachmann S. hatte die Entführung eingefädelt. Der Zürcher Oberländer war offenbar wegen Alimentforderungen seiner Ex-Frau in Geldschwierigkeiten. Er sitzt im Kosovo im Gefängnis. Auch in Haft: Seine deutsche Freundin Miriam F. (24) und drei Kosovaren.
Der Zürcher Marc W. (47) wurde zusammen mit seinem Freund Daniel S. (37) am Ostermontag ausserhalb der Stadt Gjakova von Maskierten verschleppt. Die Entführer forderten 500 000 Franken Lösegeld. Sieben Tage lang hielten die Kidnapper die beiden Schweizer in einer Bauruine in den Bergen fest. Dann sollten W. und sein Freund in die Schweiz zurückreisen, um das Lösegeld abzuholen. Am Flughafen Pristina wurden beide verhaftet. Schnell stellte sich heraus: Der arbeitslose Bankfachmann S. hatte die Entführung eingefädelt. Der Zürcher Oberländer war offenbar wegen Alimentforderungen seiner Ex-Frau in Geldschwierigkeiten. Er sitzt im Kosovo im Gefängnis. Auch in Haft: Seine deutsche Freundin Miriam F. (24) und drei Kosovaren.
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