Schweizer Bestsellerautor Joël Dicker
«Ich lasse den Lesern Raum, sich ihre eigene Vorstellung zu machen»

Der erfolgreichste Schriftsteller der Schweiz tourt gerade mit zwei neuen Büchern durch Europa. Blick konnte den Genfer vor seiner ausverkauften Lesung im Zürcher Kaufleuten zum Gespräch treffen.
Publiziert: 30.03.2025 um 12:54 Uhr
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Joël Dicker ist der erfolgreichste lebende Schweizer Autor.
Foto: Kim Niederhauser

Darum gehts

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Es gibt Orte, die geben einem das Gefühl von Geborgenheit. Für Joël Dicker ist das der Parc Bertrand im Genfer Viertel Champel. Hierher ist er schon als Kind gekommen, mit seinen Grosseltern, die in der Nähe wohnten. Es ist ein Ort, an dem die Zeit scheinbar stehen geblieben ist. Das beruhigt ihn.

Dabei hat sich Joël Dickers Leben grundlegend verändert. Dicker, 1985 in Genf als Sohn einer Buchhändlerin und eines Französischlehrers geboren, wird mit nur 27 Jahren zum Bestsellerautor. Sein mehrfach ausgezeichneter Krimi «Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert» hat sich millionenfach verkauft, ist in über 40 Sprachen übersetzt und fürs Fernsehen adaptiert worden. Die Hauptrolle der Serie spielte US-Star Patrick Dempsey. 

Mittlerweile hat Dicker acht Romane veröffentlicht, die immer wieder auf Bestsellerlisten gelandet sind. Das hat den Genfer nicht nur reich – die «Bilanz» schätzt sein Vermögen auf 20 bis 50 Millionen Franken –, sondern auch zum momentan erfolgreichsten Schweizer Autor gemacht. Und er hat prominente Fans. So verriet der frisch gewählte Bundesrat Martin Pfister letzthin, Dickers neusten Roman zu lesen, um sein Französisch aufzubessern. «Ich muss ihm noch ein Exemplar schicken», wird Dicker später sagen.

Seit Januar auf Lesereise

Zum Gespräch in Zürich erscheint Dicker mit einem schwarzen Rollkoffer im Schlepptau. Er kommt direkt vom Flughafen. Abends wird er im ausverkauften Kaufleuten eine Lesung halten. Am Vortag war er in Köln (D), am Literaturfestival Lit.Cologne. Trotzdem wirkt er erholt, entspannt.

Dicker ist ein viel beschäftigter Mann. Seit Januar ist er in ganz Europa unterwegs, um gleich zwei Neuerscheinungen zu bewerben. «La Très Catastrophique Visite du Zoo» und «Ein ungezähmtes Tier», das Ende Februar auf Deutsch erschienen ist. Dicker nimmt einen Schluck seines Verveinetees. Dem Ende der Tournee blickt er sehnsüchtig entgegen. «Ich freue mich darauf, endlich wieder mehr Zeit zum Schreiben zu haben.»

Dicker schreibt mittlerweile seit 20 Jahren – angefangen während seines Jusstudiums an der Universität Genf, das er 2010 erfolgreich abschloss. «Damals habe ich jeden Tag sieben bis acht Stunden geschrieben.»

Sein Durchbruch liess auf sich warten. Dicker schrieb vier Romane, fand aber keinen Verlag. Erst für seinen fünften Roman erhielt er eine Zusage, doch der grosse Erfolg blieb zunächst aus. «Es war sehr deprimierend», erinnert er sich. «Ich dachte, ich würde es niemals schaffen.»

Über Nacht berühmt

Dann kam «Harry Quebert» – und sein Leben änderte sich schlagartig. «Von einem Tag auf den anderen war ich offiziell Autor.» Ein verdammt junger Autor, auf dem plötzlich der Erfolgsdruck lastete. Rückblickend sagt Dicker, dass es gut war, dass es nicht sein erstes Buch war. «Ob erfolgreich oder nicht, das Schreiben fühlt sich immer gleich an.» Also sagte er sich: «Zurück zur Routine, schreib weiter, dann wirst du sehen, was passiert.»

Diese Routine ist ihm bis heute heilig. Früher begann sein Tag um 4 Uhr morgens mit dem Schreiben. Seit er vor sechs Jahren Vater wurde, startet er um 6 Uhr. Die erste Stunde gehört dem Lesen. Aktuell hat er drei Bücher gleichzeitig auf dem Nachttisch. Seine Stapel wachsen schneller, als sie schrumpfen, ausser seine Frau Constance beschwert sich – dann wandern einige Exemplare ins Büro. Nach dem Lesen folgen Sport, Schreiben und die Arbeit für seinen eigenen Verlag, den er vor dreieinhalb Jahren gegründet hat.

Kritik aus dem Feuilleton

In Genf wird Dicker auf der Strasse erkannt, angesprochen. Er sagt, es sei eine angenehme Art des Erfolgs. Es gehe nicht um ihn als Person, sondern um seine Arbeit. «Die Leute sagen nicht: ‹Ich liebe Sie›, sondern: ‹Ich liebe Ihre Bücher.›»

Auf die Frage, weshalb seine Bücher so erfolgreich sind, kann er keine präzise Antwort geben. Diese folgen oft einem bewährten Rezept: viel Spannung, unerwartete Wendungen und das Rätselraten um die Identität des Täters oder der Täterin. Dicker streut geschickt Indizien, doch die grosse Auflösung kommt erst am Ende. Am meisten geniesst er den Moment, wenn Leserinnen und Leser zurückblättern, um ein Detail noch einmal zu überprüfen – überzeugt, er habe sich vertan. Er lacht ein schelmisches Lachen.

Dicker ist kein Fan von detaillierten Beschreibungen. «Ich lasse den Lesern Raum, sich ihre eigene Vorstellung zu machen.» Doch genau das stösst im Feuilleton oft auf Kritik: zu trivial, zu massentauglich seien seine Romane. Bücher für Menschen, die sonst nicht lesen würden. 

Verletzt ihn solche Kritik? Im Gegenteil. «Ich liebe es.» Denn genau das ist Dickers selbst erklärtes Ziel: Menschen zum Lesen zu bringen. Etwas, was die Buchbranche seiner Meinung nach nicht ausreichend schafft. «Mir ist es wichtig, vor allem jungen Menschen zu vermitteln, dass Lesen cool ist.»

Dicker will die Leute zum Lesen bringen

Auch wenn seine Bücher unterhalten, bedeutet Lesen für ihn mehr als Unterhaltung. «Es hilft uns, uns selbst zu verstehen und unser Leben zu gestalten.» Leseförderung ist auch Demokratieförderung, sagt Dicker. «Lesen schützt uns vor Manipulation durch Algorithmen und Fake News. Ausserdem ist es eine tragende Säule der Demokratie, weil es Verantwortung lehrt und Empathie schafft.»

Dicker sagt, wir sollten alle politisch sein, uns unserer Verantwortung als Bürgerinnen und Bürger bewusst sein, wählen und abstimmen gehen. Aber ein politischer Autor will er dennoch nicht sein. «Es geht nicht darum, Vorschriften zu machen, sondern ein Echo im Leser zu erzeugen – ihn zum Nachdenken anzuregen, damit er seine eigene Verantwortung erkennt.»

Und damit kann man, wenn es nach Joël Dicker geht, nicht früh genug anfangen. Sein neustes Buch «La Très Catastrophique Visite du Zoo» ist ein Kinder- und Jugendbuch – aber nicht nur. «Die Idee war, ein Buch zu schreiben, das Erwachsene und Kinder gemeinsam lesen können», erklärt er. «Lesen sollte wieder ein gemeinsames Erlebnis sein, das uns von den Bildschirmen wegbringt.» Aus diesem Grund liest er auch seinen eigenen Kindern regelmässig vor. «Das ist der erste Schritt, um sie zu Lesern zu machen.»

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