Darum gehts
• Steve Jobs, Mitgründer von Apple und Erfinder des iPhones, hat Schweizer Wurzeln.
• Seine Vorfahren, die Schiblis aus Neuenhof AG, wanderten 1853 in die USA aus.
• Die Familie liess sich in Wisconsin nieder, wo Jobs' Urgrossvater als Farmer und Tischler lebte.
• Jobs' Grossvater Arthur Schieble wurde Unternehmer – und war der Vater von Joanne Schieble, der leiblichen Mutter von Steve Jobs.
Nur wenige Menschen haben die Welt wirklich verändert. Zu ihnen zählen der Philosoph Karl Marx, die Religionsstifter Jesus und Mohammed – und Steve Jobs, der Mitgründer von Apple. Mit dem iPhone schuf er ein Gerät, das unseren Alltag bestimmt. In der Rangliste der wichtigsten Erfindungen des Podcasts «Hard Fork» steht es gleich hinter Feuer und Elektrizität.
Steve Jobs hat Schweizer Wurzeln.
Seine Vorfahren stammen aus Neuenhof im aargauischen Limmattal. Mitte des 19. Jahrhunderts wanderten sie als zwölfköpfige Familie mit staatlicher Hilfe in die USA aus. Zweifelsohne eine Auswanderung mit tiefgreifenden Folgen.
Vom Limmattal in die Neue Welt
Zwar gab es Hinweise auf die Schweizer Abstammung. Diese waren aber meist falsch, ungenau oder nicht belegt. Eine Recherche fehlte bisher.
Diese liegt nun vor: Akten aus Archiven, Auswanderungsstatistiken, Kredithefte, Kirchenbücher, Ahnenforschung der Mormonen und Passagierlisten beschreiben die Herkunft einer der einflussreichsten Persönlichkeiten unserer Zeit.
Steve Jobs kam 1955 in San Francisco zur Welt, als Kind von Joanne Schieble und des Politikstudenten Abdulfattah Jandali. Die Mutter gab den Buben zur Adoption frei, weil ihre streng katholischen Eltern ihr die Ehe mit dem syrischen Einwanderer untersagten.
Die Kalifornier Paul und Clara Jobs adoptierten den kleinen Steve. Mit 21 gründete er Apple. Der Rest ist Wirtschaftsgeschichte, erzählt in Filmen und Büchern.
Fast völlig unbekannt blieb der Schweizer Teil. Wohl auch, weil der Name von Jobs' Vorfahren bei der Einreise in die USA verändert worden war und fortan deutsch statt schweizerisch klang. Zuvor hatten sie Schibli geheissen – in Neuenhof ein noch heute verbreiteter Name; die Schiblis sind dort heimatberechtigt.
Die Geschichte beginnt mit Josef Schibli, der am 16. Juli 1795 in Neuenhof zur Welt kam, wie die noch lateinischen Einträge im Kirchenbuch belegen. Er zeugte mindestens zehn Kinder; zuerst mit Verena Vogler, nach deren Tod mit Anna Maria Haas.
Eines davon – Kaspar – kam am 18. Oktober 1848 zur Welt, belegt durch seinen Grabstein in Wisconsin. Kaspar Schibli war Steve Jobs' Urgrossvater.
Zu dieser Zeit zählte Neuenhof bei Baden rund 400 Einwohner, ein Bauerndorf, zu arm, um kinderreiche Familien zu ernähren. Wie viele andere lebten die Schiblis in bescheidenen Verhältnissen. Nach Missernten, stagnierenden Löhnen und wachsender Armut suchten viele ihr Glück in Amerika oder Australien.
Zwischen 1850 und 1855 verliessen über 8000 Menschen den Aargau – rund vier Prozent der Bevölkerung. Um die Armenkassen zu entlasten, unterstützten zahlreiche Gemeinden die Auswanderer. Die Schiblis erhielten von der Gemeinde Neuenhof 1715 Franken, vom Kanton Aargau 360 Franken, was in den Akten des Aargauer Staatsarchivs dokumentiert ist. Die 2075 Franken Auswanderungshilfe entsprechen heute 32'330 Franken.
Die Schiblis nahmen zehn Kinder und ihr gesamtes Vermögen mit. Es betrug laut dem «Verzeichnis der Ausgewanderten des Bezirks Baden» 1142 Franken.
Zudem beantragte Josef Schibli einen Kredit über 840 Franken, ausbezahlt wurden 600, wie dokumentiert ist. Das entspricht einem heutigen Wert von 9100 Franken und sollte damals den Transport sowie die Schiffspassage decken.
Wochenlang auf hoher See
Es war eine beschwerliche Reise, die gut geplant sein musste. Das Eisenbahnnetz war kaum ausgebaut, Autos gab es noch nicht. Gegen gutes Geld organisierten zahlreiche Agenturen für Auswanderer die Routen, die Tickets und die Formalitäten. Sie unterhielten Büros in Basel, einige sogar Vertretungen in New York.
Vermutlich legten die Schiblis die drei Kilometer von Neuenhof nach Baden im Spätsommer 1853 zu Fuss zurück. Von dort reisten sie mit Postkutschen nach Basel, unterbrochen von Zwischenhalten, um die Pferde zu wechseln. In Basel bestiegen sie einen Dampfer, der sie rheinabwärts nach Köln brachte, von wo die Schiblis wohl mit der Eisenbahn weiterreisten. Seit 1843 bestand eine Zugsverbindung von Köln über Aachen, Lüttich und Brüssel bis Antwerpen.
Anfang September erreichte die Familie die belgische Hafenstadt. Dort ankerte das Segelschiff «Uncas». Es beförderte regelmässig Fracht und Passagiere nach New York. Die heute auf Mikrofilm erhaltene Passagierliste zeigt: Die Schiblis legten am 4. September 1853 in Antwerpen ab.
Mit 422 Tonnen Tragfähigkeit war die Uncas ein kleines, aber robustes Transatlantikschiff. Je nach Wind und Wetter benötigte es 35 bis 50 Tage für die Überfahrt.
Nach Wochen auf hoher See erreichte die «Uncas» im Spätherbst den Hafen von New York. Sie legte wohl am South Street Pier in Manhattan an, wo täglich Schiffe aus Europa eintrafen. Zwischen Frachtkisten, Kohlenstaub und Matrosen betraten Josef und Anna Maria Schibli mit ihren Kindern erstmals amerikanischen Boden.
Wie alle Passagiere mussten sie am Pier zunächst die Formalitäten der New Yorker Einwanderungsbehörden durchlaufen. Notiert wurden Namen, Herkunft und Bestimmungsort. Ein Beamter schrieb den Familiennamen «Schibli» so auf, wie er ihn verstanden hatte – nämlich Schieble.
Unter neuem Namen begann für die Neuenhofer ein neues Leben in einem jungen Land voller Möglichkeiten.
Sie blieben nicht in New York, sondern zogen dorthin, wo sich bereits andere Schweizer niedergelassen hatten: nach Wisconsin am Lake Michigan.
Die damalige Route führte mit einem Hudson-Dampfer nach Albany und per Eisenbahn weiter nach Buffalo. Mit einem Raddampfer überquerten sie den Eriesee und erreichten Detroit. Abermals ein Zug brachte sie nach Chicago.
Viele Schweizer zog es in jenen Jahren nach Wisconsin. Der junge Staat war 1848 der Union beigetreten und warb in Europa gezielt um Siedler.
Fruchtbare Böden, Wälder, Seen und eine deutschsprachige Gemeinschaft machten Wisconsin zum bevorzugten Ziel für Deutsche und Schweizer. Ab den 1840er-Jahren entstanden Siedlungen mit Menschen aus dem Aargau sowie den Kantonen Glarus und Bern.
Von Chicago aus fuhren die Schiebles wohl mit einem Dampfschiff nach Sheboygan, einer kleinen, wachsenden Hafenstadt, in der bereits einige Schweizer Familien lebten. Hier endete eine über 7000 Kilometer lange Reise – von Neuenhof an der Limmat bis Sheboygan am Lake Michigan.
Aus Aargauern waren Amerikaner geworden.
Kaspar Schibli nahm als Casper Schieble die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Zuerst arbeitete er als Farmer, später als Tischler. Am 12. September 1878 heiratete er Anna Acker. Sie bekamen mehrere Kinder; laut genealogischen Daten der Mormonen waren es elf.
Der Zweitjüngste hiess Arthur, geboren am 19. Oktober 1899, belegt durch eine Aushebungskarte der amerikanischen Armee. Die Familie lebte in einem kleinen Haus an der 1316 North Eighth Street in Sheboygan, einen Spaziergang entfernt vom Lake Michigan.
Als der in Neuenhof geborene Casper am 5. Juni 1919 starb, schrieb die «Sheboygan Press» in einem Nachruf von einem «universell geschätzten Mann von grossem Charakter», einem Familienmenschen, dessen Leben von Arbeit und Fürsorge bestimmt gewesen sei, der katholischen Kirche stets eng verbunden.
Sein Sohn Arthur zog 1932 ins 100 Kilometer entfernte Green Bay, Wisconsin. Er war unternehmerisch tätig, gründete zunächst ein Gravurunternehmen, später eine Pelzfarm, die er erfolgreich führte. Arthur verkörperte die zweite Generation der amerikanischen Schiebles: in den USA geboren, ehrgeizig, tüchtig und verwurzelt im Mittleren Westen.
Er heiratete Irene Ziegler, bekam zwei Töchter und führte – wie schon sein Vater – ein gläubiges Leben. Als er 1955 nach einer schweren Krankheit starb, vermeldete die Zeitung den Tod eines geachteten Bürgers.
Im Nachruf der «Sheboygan Press» vom 10. August 1955 findet sich ein stiller Nachsatz: Erwähnt wird ein Enkel – das uneheliche Kind seiner Tochter Joanne, geboren im Februar desselben Jahres.
Dieses Kind war Steve Jobs.
Er wuchs nicht bei den Schiebles auf, sondern in Kalifornien, und sollte die Welt verändern. Kurz vor seinem Tod drängte Arthur Schieble seine Tochter, das Baby zur Adoption freizugeben. Sie willigte ein, sofern der Junge von Akademikern aufgenommen werde. Den Zuschlag erhielten Paul und Clara Jobs.
Silicon Valley statt Wisconsin
Erst danach erfuhr Joanne Schieble, dass Clara nie ein College abgeschlossen und Paul nicht einmal die High School beendet hatte. Zunächst verweigerte sie die Unterschrift, gab aber nach, als das Paar ihr versprach, der Junge werde eines Tages studieren.
Sie hielten Wort und wendeten ihre Ersparnisse auf, um Steve das College zu ermöglichen. Nach sechs Monaten brach er ab, schlief bei Freunden, sammelte Pfandflaschen und ging meilenweit zu Fuss, um im Hare-Krishna-Tempel zu essen. «Dennoch», sagte Jobs später, «hatte ich Glück. Ich fand früh im Leben, was ich liebte.»
Mit zwei Freunden gründete er in der Garage seiner Eltern Apple Computer, benannt nach dem Plattenlabel der Beatles. Heute ist das Unternehmen rund vier Billionen Dollar wert.
Jobs begann 1986, seine leibliche Mutter zu suchen. Er fand sie in Los Angeles. Bei einem Treffen erfuhr Jobs, dass er eine Schwester hatte: die Romanautorin Mona Simpson (68). Seine leiblichen Eltern hatten doch noch geheiratet und ein weiteres Kind bekommen.
Der iPhone-Erfinder starb 2011 an Krebs, im selben Alter wie sein Grossvater.
Joanne Schieble war oft als «German-American» bezeichnet worden, und die Medien übernahmen diese Angabe voneinander. Selbst der renommierte Jobs-Biograf Walter Isaacson (73) bezeichnete Schiebles Familie als «deutsch». Gewiss: Casper und Arthur heirateten deutschstämmige Frauen. Wegen des deutsch klingenden Nachnamens gerieten die Schweizer Wurzeln und der Name Schibli in Vergessenheit. Ab jetzt nicht mehr.