Bis heute prägt Jürg Jegge (74) das Schweizer Erziehungssystem. «Sein Einfluss auf die Schule und die Ausbildung von Lehrern ist nach wie vor gross», sagt Beat W. Zemp (61), Präsident des Schweizer Lehrerverbandes (LCH). «Jegges reformpädagogische Ansätze und Ideen bleiben wichtig.» Sexuelle Übergriffe entschuldige das natürlich keinesfalls.
Um Schüler vor Pädosexuellen zu schützen, schufen die Behörden in den letzten zehn Jahren verschiedene Mechanismen. Seit 2008 beispielsweise müssen Kantone Lehrer melden, denen sie die Unterrichtsberechtigung entzogen haben. Dies geschieht etwa bei Suchtproblemen oder psychischen Krankheiten. Die Meldepflicht gilt aber auch für sexuelle Übergriffe oder den Besitz von Kinderpornografie.
Kein Eintrag in Basel – 38 in Zürich
Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) sammelt alle gesperrten Lehrer auf einer schwarzen Liste. Wie viele es sind, will Präsidentin Silvia Steiner (59) nicht verraten (Interview oben), auch viele Kantone schweigen. Nur 13 der 26 Kantone gaben SonntagsBlick Auskunft.
Uri, der Jura und beide Basel führen niemanden in diesem Verzeichnis. Luzern trug bisher acht Namen ein, der Aargau drei, Genf einen. Auch in Neuenburg, Schwyz und dem Thurgau sind die Zahlen einstellig.
Aus dem Kanton Bern stehen aktuell zwölf Lehrer auf der schwarzen Liste. In Zürich sind es 38 – gut die Hälfte von ihnen wegen Besitz von Pornografie, viele aber auch wegen sexueller Übergriffe.
Schulen sind wachsam
Richter können ebenfalls dafür sorgen, dass Pädosexuelle nicht mehr mit Kindern arbeiten. Seit 2015 gibt es die Möglichkeit, Verbote zum Schutz von Minderjährigen auszusprechen. Verurteilte können mit einem Berufsverbot, aber auch mit Kontakt- oder Rayonverboten belegt werden. Dieses Instrument kommt selten zum Einsatz: Bisher gab es laut Bundesamt für Justiz nur 20 Urteile, die ein solches Verbot beinhalteten.
Die Schulen ihrerseits sind wachsam. Viele stellen nur noch Personen ein, nachdem sie deren Sonderprivatauszug eingesehen haben. Das Papier kann seit 2015 bestellt werden. Es gibt Auskunft darüber, ob ein Bewerber zum Schutz von Minderjährigen mit einem Verbot belegt ist.
Auch Vereine – von der Pfadi bis zum Fussballklub – können solche Sonderprivatauszüge verlangen. Das Interesse daran steigt: 2015 gingen beim Bund rund 17 600 Anfragen ein. 2016 waren es fast doppelt so viele: 33 283.
«Körperliche Integrität darf auf keinen Fall verletzt werden»
Dies verdeutlicht laut Lehrerverband, dass die Schulen und Behörden heute auf die Thematik des sexuellen Missbrauchs sensibilisiert sind. «Es ist unumgänglich, dass bei der Neuanstellung eines Pädagogen dessen strafrechtliches Vorleben überprüft wird», so Präsident Zemp. Dies müsse flächendeckend geschehen und gehöre zur grundlegenden Sorgfaltspflicht.
Trotz aller neuen Instrumente ist die Verunsicherung unter den Lehrern nach wie vor gross. Insbesondere nach den schockierenden Enthüllungen der vergangenen Tage. Der Lehrerverband hat deshalb erst kürzlich einen Leitfaden herausgegeben. «Körperliche Berührungen wie beispielsweise ein ermunterndes Klopfen auf die Schulter müssen möglich bleiben», sagt Zemp. Klar sei aber: «Die körperliche Integrität des Kindes darf auf keinen Fall verletzt werden.»