Schoggi ohne Zucker, Fleisch ohne Fleisch
Jetzt macht die Klimajugend unseren Menüplan

Essen wird grüner – und schneller. Neue Food-Trends zeigen: Junge Menschen definieren den Konsum neu.
Publiziert: 19.10.2019 um 23:29 Uhr
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Aktualisiert: 21.10.2019 um 10:45 Uhr
Die Klimajugend treibt nicht nur die Politik vor sich her. Sie beeinflusst auch die Wirtschaft.
Foto: Keystone
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Valentin Rubin und Danny Schlumpf

Mit voller Wucht – und mit Erfolg – vertritt die Klimajugend ihre Anliegen: Der heutige Wahltag steht ganz im Zeichen der Umweltdebatte. Doch die Jugend treibt nicht nur die Politik vor sich her. Sie beeinflusst auch die Wirtschaft. Nirgends zeigt sich dies deutlicher als beim Essen.

«Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Gesundheit sind zentrale Themen im Food-Bereich», sagt Christine Schäfer (30), Trendforscherin am Gottlieb Duttweiler Institut und Hauptautorin des neuen «European Food Trends Report». «Die jüngeren Generationen beeinflussen diese Entwicklung nachhaltig.»

Der Slogan der Klimaaktivisten prägt auch ihre Haltung als Konsumenten: «Keine Kompromisse!» Essen muss klimafreundlich und gesund sein, weniger Zucker und weniger Fleisch enthalten. Sport und bewusste Ernährung sind zu wichtigen Elementen ihres Lebensstils geworden.

Und der Food-Markt reagiert

Zu beobachten war dies unlängst im trendigen San Francisco (USA), wo der Schokoladenriese Barry Callebaut mit Hauptsitz in Zürich sein neustes Produkt vorstellte: WholeFruit – eine Schokolade, die nicht aus der Kakaobohne, sondern aus der Frucht gewonnen wird. Bislang landeten 70 Prozent davon im Abfall. Die neue Schokolade ist nicht nur nachhaltiger, sie kommt auch ohne Zuckerzusatz aus. Ihr Fruchtzucker genügt. Ab 2020 bringt Barry Callebaut sie auf den Markt, zusammen mit ­einer ganzen Palette nachhaltiger Zutaten für Smoothies, Backwaren und Desserts.

«Damit kehren wir zurück zu den Wurzeln», sagt CEO Antoine de Saint-Affrique (54). Wie es schon die alten Mayas machten, so wollen es die jungen Konsumenten. «Diese Schokolade ist ein Produkt ohne Kompromisse: nachhaltig und geschmackvoll.» Da­rin ortet Saint-Affrique einen grundsätzlichen Food-Trend: «Eine Art Rückbesinnung zu mehr Natürlichkeit und gesundem Genuss.»

Selbst der Kit-Kat-Riegel ist nachhaltig

Auch der Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé lancierte eine Schokolade aus der Kakaofrucht. Den nachhaltigen Kit-Kat-Riegel gibts vorerst aber nur in Japan. In der Schweiz ist Nestlé dagegen in einem anderen Wachstumsmarkt dabei: Veganer Fleischersatz ist ein Megatrend, der nicht nur Veganer und Vegetarier, sondern auch die riesige Gruppe der Flexitarier anspricht – Menschen, die auf Fleisch nicht verzichten, aber weniger konsumieren wollen.

Den Anfang machte die US-Firma Impossible Foods: Ihr fleischloser Burger ist seit 2017 in den USA ein Hit. In Europa dominieren Nestlé und die US-Firma ­Be­yond Meat den Markt. Der I­ncredible Burger von Nestlé steht seit September in den Regalen von Coop, seit ­dieser Woche gibt es auch Incred­ible Gehacktes. Noch nicht entschieden ist, wer den fleischlosen Burger von McDonald’s machen wird. Nestlé und Beyond Meat liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den lukrativen Auftrag.

Wer macht die nachhaltigste Schokolade ohne Zuckerzusatz? Wer bietet den geschmackvollsten Pflanzenburger an? Ein knallharter Wettbewerb um ­Natürlichkeit ist im Gang, ein Ringen um die jungen Konsumenten mit ihrem Bedürfnis nach Authentizität. Trendforscherin Schäfer: «Die romantische Rückbesinnung wird nicht zuletzt dank technologischem Fortschritt möglich.» Wer sein Gemüse aus der Region beziehe, tue dies immer öfter über eine App. «Dahinter stecken komplexe Algorithmen, welche die effizientesten Vertriebswege berechnen.»

Nächste Hürde: der Geschmack

Doch wie viel Technik auch ­dahintersteckt: «Essen soll nach ­Essen schmecken», sagt Pascal Guillet (33). Der Gründer des Schweizer Start-ups MicroPow findet, vegane Burger seien in Farbe und Geschmack noch nicht mit einem Fleischburger vergleichbar. Guillets Ziel: die Aroma-Revolution.

Weil sich die Aromen zu schnell verflüchtigen, bleibe beim Grillieren eines Pflanzenburgers oft kaum Geschmack übrig, sagt Guillet. Sein Projekt: Die natürlichen Aromen und Farbstoffe für Veggie-Burger werden anders verpackt. Der Aroma-Grundstoff, oft ein Öl oder ein flüssiger Extrakt, wird zunächst zu feinem Nebel zerstäubt. Dann werden die mikroskopischen Tröpfchen mit einer Fettschicht umgeben, die sich beim Abkühlen verfestigt. So sind die Aromen besser haltbar. Für den Veggie-Burger heisst das: Erst beim Braten setzt er seinen Geschmack frei – ohne weitere Zusatzstoffe. Guillet: «Mit unserem System können wir uns diese sparen.» 2020 will er auf den Markt.

Nicht nur nachhaltig muss das neue Essen sein, sondern auch rasch auf dem Teller. «Der erhöhte Stress im Alltag wirkt sich auf unser Essverhalten aus», sagt Trendforscherin Schäfer. «Schneller Konsum und effiziente Verpflegung sind zentral.» So boomen Online-Lieferdienste wie Uber Eats oder Just Eat.

Konsumenten geben den Ton an

Mit dem Trend zu Nachhaltigkeit und Tempo passt sich der Markt der Klimajugend an. Die will Schoggi, aber ohne Zucker und Fleisch, aber ohne Tiere. Sie fordert kompromisslos den Fünfer und das Weggli – und kehrt so das Verhältnis von Produzenten und Konsumenten um. In den letzten 50 Jahren waren es wachstumsgetriebene Unternehmen, die Verbrauchern mit aggressivem Marketing einredeten, was ihnen guttue. Heute richten sie sich nach einer neuen Konsumentengeneration, die weiss, was sie will – und was nicht.

Sie ist digital vernetzt und schnell mobilisierbar. Christine Schäfer: «Die jungen Konsumenten kommunizieren direkt mit den Unternehmen und sind in der Lage, vom Sofa aus einen Shitstorm zu organisieren, wenn ihnen etwas nicht passt. Sie haben völlig neue Mitsprachemöglichkeiten und Macht.» Die Effekte reichen weit über die Menüs der Restaurants und die Regale der Einkaufszentren hinaus. Modehäuser wie H&M starten Nachhaltigkeitskampagnen. Die Kosmetikindustrie zieht nach. Grüner wohnen und reisen sind im Trend.

Den Sturz des umweltschädlichen Kapitalismus fordert die Klimajugend vielleicht vergeblich. Aber sie ist dabei, ihn nachhaltig zu ­verändern.

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