Darum gehts
- René Osterwalder: Prozess, Verurteilung und Suizid des «Babyquälers»
- Richter schützte Geschworene durch tägliche Debriefings und kürzere Verhandlungstage
- 17 Jahre Zuchthaus und Verwahrung für abscheuliche Taten gegen Kleinkinder
Drei Wochen dauerte der Prozess gegen den «Babyquäler» René Osterwalder. Er wurde am 19. Mai 1998 vom neunköpfigen Zürcher Geschworenengericht für seine abscheulichen Taten gegen mehrere Kleinkinder zu 17 Jahren Zuchthaus verurteilt und verwahrt.
Der Prozess dauerte so lange, weil vor dem Geschworenengericht sämtliche Befragungen während des Prozesses geführt wurden. «Im Fall vom René Osterwalder war das für die Geschworenen eine enorme psychische Belastung», erinnert sich der damalige Vorsitzende Christian Huber (80) im Gespräch mit Blick. Als ihn diese Woche die Nachricht von Osterwalders assistierten Suizid erreichte, kam die ganze Geschichte noch einmal hoch.
Dass Osterwalder den Freitod wählte, überrascht den ehemaligen Staatsanwalt, Oberstaatsanwalt, Oberrichter und Vorsitzender des Geschworenengerichts und ehemaligen Regierungsrat, nicht. Er sagt: «Mehrmals wurde sein Antrag auf bedingte Entlassung abgelehnt. Er sah keine Chance mehr, irgendeinmal aus der Verwahrung zu kommen.»
Kein Geschworener brach ab
Um die Geschworenen und sich selber vor den damaligen psychischen Strapazen zu schützen, richtete Huber den Tagesablauf des Prozesses gezielt etwas kürzer aus. Er sagt dazu: «Die Verhandlung dauerte jeden Tag jeweils bis 16 Uhr. Danach trafen wir uns zu einem Debriefing. Jeder konnte aussprechen, was ihn am meisten belastete. Ich wollte verhindern, dass ein Geschworener mit den unglaublichen Verbrechen nicht zurechtkommt und es nicht sagt. Wir verarbeiteten das Unfassbare gemeinsam.»
Diese Vorsichtsmassnahme ist bisher einzigartig in der Schweizer Gerichtspraxis. Das Ausmass der Abscheulichkeiten, die im Prozess gezeigt und besprochen werden mussten, gab es bisher hierzulande auch kein zweites Mal.
Zu Beginn des Prozesses sei der Gang vor ein Geschworenengericht mit Laien auf Kritik gestossen, sagt Huber weiter. «Uns wurde gesagt, dass uns ein Psychiater betreuen müsse. Sonst würden wir das nicht schaffen», erinnert er sich. Doch er lehnte ab und sollte recht bekommen. «Es stieg kein einziger Geschworener aus, und die täglichen Aussprachen halfen uns mehr.»
«Er war ein Monster!»
Huber erzählt, Osterwalder habe damals sehr kontrovers auf ihn gewirkt. «Äusserlich war er höflich und fast schon schüchtern im Umgang. Doch seine Fantasien und was er davon in die Realität umsetzte, ist jenseits aller Grenzen. Das habe ich in meiner langen juristischen Karriere kein zweites Mal angetroffen. Der Mensch war ein Monster!»
Schlimmer habe es den Polizisten belastet, der das ganze Videomaterial sichten musste, in dem Osterwalder sich selbst während der Folterungen der Kleinkinder filmte. «Ich weiss, der Mann hat sehr gelitten.»
Er selbst sei nach dem Prozess mit Freunden zum Höhlentauchen nach Frankreich gereist: «Da musste ich mich so stark auf mein Hobby konzentrieren, ich dachte nicht mehr an die schrecklichen Bilder. Das hat geholfen, das Ganze zu verarbeiten.»
Osterwalders Haus in Amsterdam
Jahrzehnte nach dem Prozess wurde der Richter noch einmal mit Osterwalders Geschichte konfrontiert – durch einen Zufall! 2010 brachten Huber und seine Frau ihr Hausschiff zum Überwintern nach Amsterdam. Für drei Tage buchten sie in der niederländischen Hauptstadt ein Bed&Breakfast – es war zufällig ausgerechnet das ehemalige Haus von Osterwalder, in dem die holländische Polizei die Filme mit den Folterungen gefunden hatte.
«Wir sprachen am einen Abend mit den Besitzern über die Geschichte des alten Hauses. Sie sagten uns, dass sie es von einem Schweizer Anwalt eines Vergewaltigers gekauft hatten. Der hiesse Osterwalder. Da wurde uns alles klar», erzählt Huber.
Passend für den diabolischen Schweizer Osterwalder: Das Haus hatte eine dunkle Vorvergangenheit. Es hiess einmal «Duivelskerk», auf Deutsch also «die Teufelskirche».