Psychotherapeutin Dania Schiftan erklärt, warum uns der Corona-Notstand derart an den Nerven zehrt
«Die Kontrolle über unser Leben fehlt uns am meisten»

Die Verlockungen des Alltags, Normalität und Freiheit fehlen den Menschen während der Krise am meisten. Psychotherapeutin Dania Schiftan erklärt, wie sich die Sehnsucht auf das Verhalten nach der Pandemie auswirkt.
Publiziert: 16.04.2020 um 23:09 Uhr
|
Aktualisiert: 22.04.2020 um 13:15 Uhr
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Psychotherapeutin Dania Schiftan aus Zürich erklärt die Sehnsüchte der Menschen während der Krise.
Foto: zVg
Helena Schmid

Gelegentlich kommt sie hoch, wenn man den Blick über die Ferienfotos an der Wand schweifen lässt, über weisse Strände und Palmen. Oder wenn das Radio ein Lied der Lieblingsband spielt, die man vor Jahren einmal live gesehen hat. Manch einer spürt sie, seufzt und tippt eine Nachricht in sein Handy: «Ich vermisse dich!»

Sehnsucht. Im normalen Alltag voller Stress, Verlockungen und Möglichkeiten wird schnell vergessen, wie sie sich anfühlt. Doch in Zeiten der Corona-Krise, der Einschränkungen scheint die Sehnsucht grösser denn je. Psychotherapeutin Dania Schiftan erklärt: «Jetzt, wo sie nicht erfüllt sind, nehmen wir unsere Bedürfnisse viel stärker wahr. Im Vermissen wird uns klar, wie wichtig uns gewisse Dinge sind.»

«Am meisten fehlt uns die Kontrolle»

Bindung und Zugehörigkeit, Lustgewinn und Unlustvermeidung, Selbstwerterhöhung und Selbstschutz, Orientierung und Kontrolle. In der Psychologie sind dies die Grundbedürfnisse des Menschen.

Eingeschränkt sind alle vier. Lust auf ein Abendessen im Restaurant? Ja, aber geht halt nicht. Sich auf einer Weltreise selbst finden? Höchstens auf einer Tour durch die Schweiz. Die Eltern besuchen? Lieber nicht, die gehören zur Risikogruppe.

Dania Schiftan: «Am meisten aber fehlt uns die Kontrolle über unser Leben. Die Menschen sehnen sich nach Normalität und Gewohnheit. Bekanntes gibt Sicherheit.»

Die Pandemie schürt Ängste. Am belastendsten sei, dass die Bevölkerung nicht wisse, wann Normalität wieder einkehre, sagt die Expertin. Ob überhaupt. «Bei manchen äussert sich die Unsicherheit durch Anspannung, bei anderen hat sie massive Ängste bis hin zu Panik zur Folge. Es gibt auch Menschen, die daraus physische Schmerzen entwickeln.»

Auf übertreiben folgt Kater

Die Unsicherheit führt ebenso dazu, dass sich der Mensch den neuen Umständen nicht anpasst. Denn wer weiss, wann wieder Realität einkehrt? «Die Zukunft ist so nicht absehbar, dass wir gar nicht wissen, ob und wie wir uns vorbereiten sollen», so Schiftan.

Ist der Zeitpunkt dann da, die Pandemie besiegt und der Alltag wieder wie zuvor, werden viele Menschen ihre Sehnsüchte überkompensieren. «Einige werden euphorisch losrennen und das Vermisste nachholen: saufen, Freunde treffen, shoppen, die Natur erleben», prophezeit die Psychotherapeutin.

Lange anhalten wird dieser Rauschzustand aber nicht. Doch spätestens nach einigen Wochen hole der Kater diese Menschen ein. «Sie werden irgendwann erschöpft sein vom Übertreiben und sich langsam wieder einpendeln.»

«In der Krise steckt Chance»

Der andere Teil der Bevölkerung werde die Freiheiten zunächst mit Vorsicht geniessen und sich nur langsam wieder an den gewöhnlichen Alltag herantasten.

Neben Sehnsüchten und Einschränkungen ist die Pandemie aber auch geprägt von Kreativität – und Solidarität. «Die Menschen suchen Alternativen, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Daraus können neue Interessen und Kontakte entstehen», sagt Schiftan.

Ob die Menschen nach der Krise diese Solidarität weiterleben, die Kreativität, kann die Expertin nur hoffen. Schiftan erklärt: «In dieser Krise steckt die Chance zu erkennen, was uns wirklich wichtig ist, was uns guttut. Wir können ein Stück weit näher zu uns selber finden.»

Coronavirus

Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.

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Diese Spuren wird die Corona-Krise hinterlassen

Das Coronavirus trifft die ganze Welt, beeinflusst jeden Lebensbereich. Klar ist schon heute: Die Krise wird Folgen haben – einige gute, mehrheitlich aber negative.

Wirtschaft und Konsum

Das Coronavirus dürfte die Schweizer Wirtschaft grundlegend verändern. Schon jetzt befinden sich laut Angaben des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) 757 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Kurzarbeit – rund 15 Prozent aller Erwerbstätigen! Neben einer Rezession werden zudem eine Arbeitslosigkeitsquote von 2,8 Prozent und ein Rückgang des BIP auf –1,3 Prozent erwartet.

Die Unsicherheiten haben grossen Einfluss auf das Verhalten der Bevölkerung: Teure Anschaffungen werden zurückgestellt, stattdessen Notreserven angespart. Was dazu führt, dass der Detailhandel noch lange an den Spätfolgen zu beissen haben wird. Hamsterkäufe hin oder her.

Die Konsumenten dürften sich daran gewöhnen, noch häufiger im Netz zu shoppen. So kündigte zum Beispiel Digitec Galaxus jüngst an, 200 weitere Logistik-Angestellte einzustellen.

Arbeitsalltag

Viele Unternehmen müssen sich aktuell mit digitalen Technologien auseinandersetzen, um den Betrieb am Laufen zu halten. Mitarbeiter lernen nun, sich per Videokonferenz auszutauschen. Für die Arbeitgeber künftig ein Segen: Bei mehr Homeoffice fallen weniger Büromieten und Equipmentkosten an.

Arbeitnehmer vermissen daheim das Persönliche des Büroalltags, schätzen die flexibleren Arbeitszeiten und kämpfen mit der Hard- und Software: In Spitzenzeiten sorgt der erhöhte Datenverkehr derzeit für Überlastungen in der Mobilkommunikation. Besonders nervig ists in Randregionen, dort sind statt Glasfaser- oft noch Kupferkabel im Einsatz.

Gastronomie und Events

Das Virus hat das gesellschaftliche Leben zum Erliegen gebracht. Betreiber von geschlossenen Restaurants, Bars und Clubs triffts voll: Während die Einnahmen weggefallen sind, müssen Betriebskosten wie Mieten weiter gedeckt werden.

Es gibt höchstens Kredite für zehn Prozent des Jahresumsatzes, was laut Gastrosuisse für viele Beizen nur ein Tropfen auf den heissen Stein sein dürfte. Dazu kommt: Viele Wirte sind Einzelunternehmer und erhalten nur 3320 Franken pro Monat.

Der Branche drohen Schliessungen, Konkurse und Entlassungen. Düster sieht es auch bei Konzert- und Sportveranstaltern aus, wo sich die Absagen häufen. Die Haftungsfragen sind noch ungeklärt.

Gesundheit

Die Krise bringt Stärken und Schwächen zum Vorschein, insbesondere beim Umgang mit der Epidemie, wo Krankheitsmeldungen teilweise noch per Fax erfolgen.

Das Virus wird grossen Einfluss auf laufende Debatten zu geplanten Spitalschliessungen und Kostenstrukturen im Gesundheitssystem haben. Auch die Bezahlung von Pflegekräften (für viele zu tief) dürfte auf den Prüfstand kommen.

Eine wichtige Rolle wird auch ein allfälliger Impfstoff gegen das Coronavirus spielen. Bereits befürchten Skeptiker das Szenario einer Zwangsimpfung für alle.

Reisen

In der Flugbranche tobt ein enormer Verdrängungskampf. Die Internationale Luftverkehrsvereinigung IATA geht davon aus, dass die Einnahmen aus dem Passagierverkehr um 252 Milliarden Dollar oder um 44 Prozent unter den Wert von 2019 fallen könnten, falls die Reisebeschränkungen drei Monate anhielten.

Viele Airlines werden ohne Staatshilfen nicht mehr abheben können. Die Swiss hat zurzeit 90 ihrer 96 Flugzeuge gegroundet. Ob die Reisebegeisterung in alte Höhen schiesst? Eher nicht: Weil viele ihre Ferien absagen mussten, werden sie bei Buchungen in Zukunft Vorsicht walten lassen.

Sozialer Umgang

In Zeiten von Social Distancing verbessert sich vielerorts der lokale Zusammenhalt. Bereiche wie Nachbarschaftshilfe blühen auf. Die Hilfsbereitschaft wird nach der Krise anhalten. Persönliche Kontakte werden wichtiger sein denn je. Zusammenkünfte unter Freunden oder in der Familie erhalten in Zukunft wohl mehr Wertschätzung.

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Die Unsicherheiten haben grossen Einfluss auf das Verhalten der Bevölkerung: Teure Anschaffungen werden zurückgestellt, stattdessen Notreserven angespart. Was dazu führt, dass der Detailhandel noch lange an den Spätfolgen zu beissen haben wird. Hamsterkäufe hin oder her.

Die Konsumenten dürften sich daran gewöhnen, noch häufiger im Netz zu shoppen. So kündigte zum Beispiel Digitec Galaxus jüngst an, 200 weitere Logistik-Angestellte einzustellen.

Arbeitsalltag

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