Darum gehts
- Pilzsaison startete früh, Hobbysammler und Pilzfluencer bevölkern die Wälder
- Pilzexperte warnt vor Risiken und mangelndem Wissen junger Sammler
- Hunderttausende Follower für Pilzfluencer, aber wenig Aufklärung über Gefahren
Der verregnete Sommer liess die Pilze in den heimischen Wäldern verfrüht – nun ja – wie Pilze aus dem Boden schiessen. Hobbysammler bevölkern seither die Wälder, und sogenannte Pilzfluencer lassen ihre Follower bild- und wortreich an ihren Entdeckungen teilhaben. Mit dem aktuellen Start der eigentlichen Saison beginnt der ultimative Run auf die Wälder.
Heinz «Pilzheinz» Weber (56) ist Pilzkontrolleur aus Schaffhausen. Er ist genervt ob dieser Entwicklung: «Als Beispiel: Der Schwarzwald ist völlig überlaufen.» Der Trend schwappe aber auch immer mehr in die Schweiz über. «Leider wissen viele junge Pilzler nicht, wie man sich im Wald benimmt.» Die Schonzeiten würden nicht eingehalten, die Pilze würden falsch und in zu grossen Mengen geerntet, ausserdem sei das Risiko einer Vergiftung gross: «Man sollte seine Funde immer bei der nächsten Pilzkontrollstelle vorbeibringen. Nur so ist man sicher.» Ein Generationenkonflikt um den Waldboden.
Bedächtig bewegt sich Pilzheinz durch einen Stadtwald oberhalb von Schaffhausen. Behutsam holt er den ersten Pilz aus dem Boden, bestimmt ihn und gräbt ihn gleich wieder ein, damit der Pilz weiterwachsen kann: «Ich versuche bei meinen Touren nie eine Spur zu hinterlassen.»
Vom Rentner-Hobby zum Hype
Der regnerische Juli liess die Saison verfrüht starten, in den Wäldern wuchsen enorme Steinpilze, und diese wurden fleissig auf Social Media präsentiert. Meist von Hobbysammlern und jungen Menschen ohne profunde Kenntnis. Eine recht neue Entwicklung, die ihren Ursprung vor und während der Corona-Pandemie hatte. Die als «Rentner-Hobbys» verschrienen Aktivitäten Wandern, Spazieren und Pilzsammeln wurden auch bei der jungen Generation plötzlich salonfähig.
Zuerst in Deutschland bildete sich in dieser Zeit eine riesige Community von Hobbysammlern, befeuert von den Pilzfluencern. «Die sind für mich ein rotes Tuch», sagt Weber klar. Denn diese setzten nur die Erfolge und schönen Seiten des Sammelns in Szene. Über die Gefahren werde kaum ein Wort verloren. Die Influencer würden Bilder für Likes posten, aber sie sagen nie: «Lasst eure Funde bei der Gemeinde kontrollieren.» Ein Tipp, der Leben retten könne.
Zunahme bei den Vergiftungen
Tox Info Suisse veröffentlicht regelmässig Jahresberichte zu Vergiftungen. Die publizierten Zahlen lassen aufhorchen. 2019 erreichten die Beratungen zu möglichen Pilzvergiftungen einen 20-Jahre-Zenit, doch auch danach fielen diese nicht mehr unter die Zahlen von 2017. In den Corona-Jahren 2020 und 2021 entspannte sich die Situation leicht, die Beratungen stiegen in der Folge aber wieder an.
Laut den Jahresberichten seien die Schwankungen zwar wetterabhängig. Es heisst dort aber auch: «Der Trend zu einer Zunahme der Pilzvergiftungen scheint auf die steigende Popularität des Pilzesammelns zurückzugehen.»
Ein Spaziergang durch die sozialen Medien bestätigt Webers Eindrücke. Besonders erfolgreiche Pilzfluencer wie ‹pilzaddicted› aus Deutschland glänzen mit grossem Wissensschatz, arbeiten teils selbst als Sachverständige, haben Hunderttausende von Followern, verpassen es aber, über die Risiken aufzuklären.
Viel problematischer seien aber die Hobby-Pilzfluencer, sagt Weber: «Sie suchen Follower, indem sie ihre grössten Funde präsentieren. Aber Wissen, Kontext oder Verantwortung fehlen häufig.» Das sei auf zwei Arten gefährlich. Einerseits für die Follower, weil es zu Verwechslungen kommen könne, «andererseits auch für die Natur. Viele der Jungen trampeln quer durch den Wald, schneiden auch die ganz jungen Pilze ab, bevor sie ihre Sporen freisetzen und sich vermehren konnten». Damit würden sie unbewusst das Ökosystem zerstören.
«Youtube ersetzt keine Kurse»
Auf der einen Seite freut sich Weber, dass das Interesse der Jungen durch die sozialen Medien grösser werde. Jedoch würden sich manche Hobbysammler ausschliesslich auf diesem Weg informieren: «Social Media ersetzt keinen Kurs. Wer wirklich sichergehen will, muss sich austauschen, riechen, fühlen und lernen – ein Leben lang!» Auch Weber habe seine ersten Versuche mit Fachliteratur aus dem Bücherregal gemacht und bald realisiert, «allein schaffe ich das nicht».
Die Jungen brächten frischen Wind. Das sei schön. Aber: «Ohne Rücksicht und Wissen kann es für Mensch und Natur gefährlich werden.» Er ist überzeugt: «Am Ende braucht es beides: die Faszination der Jungen – aber unter Anleitung und mit dem Respekt, den die ‹alte Garde› propagiert.» Nur so könne ein Neben- und Miteinander klappen – zwischen Alten und Jungen, zwischen Profis und Hobbysammlern, zwischen Mensch und Natur.