Die Aufgabe von Freiheiten ist das meistgehörte Argument, wenn in der Schweiz Für und Wider die EU diskutiert wird. Im Gespräch mit dem «Spiegel» sagt der renommierte Schweizer Historiker Oliver Zimmer (58), die Strategie der Schweiz gegen die Corona-Pandemie habe den Freiheitswunsch der Schweizer gezeigt. Seine Landsleute würden mehr als andere Europäer auf ihre Freiheit pochen.
Trotz hoher Covid-Inzidenzen lockert die Schweiz resolut, worum Nachbarländer die eigenwilligen Schweizer auch «beneiden», wie der «Spiegel» berichtet. Es gebe wieder Sport, Musikkurse, sogar gewisse Theatervorstellungen: «Im ganzen Land wird auf den Restaurantterrassen gegessen und getrunken, obwohl die Fallzahlen der Corona-Erkrankungen vielerorts noch hoch sind.»
Gegen den Rat von Wissenschaftlern würden Freiheiten gewährt. Auf die Frage, ob die persönliche Freiheit und Eigenverantwortung in der Schweiz höher gewichtet würden als etwa in Deutschland, meint der an der Universität Oxford dozierende Historiker Zimmer: «Das Land ist einfach liberaler.» Natürlich gebe es auch in der Schweiz Kritik an den Lockerungen. Doch das «Staatsverständnis der Schweizer ist ein anderes: Die Bürger machen den Staat.»
Weniger «Riesentheater» in der Schweiz
Zimmer spricht von einer «pragmatischen Skepsis gegenüber dem Machtanspruch des Zentralstaats» in der Schweiz. Es sei auch historisch bedingt, dass die Mehrheit der Deutschen Corona-Massnahmen unterstütze. Dort gebe es «ein tiefes Misstrauen gegenüber der bürgerlichen Vernunft» - mit anderen Worten: Dem Staat sei mehr zu trauen.
Viele Schweizer würden mittlerweile auch «die Dinge etwas gelassener» sehen. Zudem erlaube das Schweizer Regierungssystem «effizienteres Handeln». Aufgrund des Kollegialitätssystems sei die «Verantwortung auf mehreren Schultern verteilt». Niemand stehe persönlich am Pranger, so Zimmer, weshalb auch kein «Riesentheater» ausbrechen könne und Regierungsgeschäfte wie in anderen Ländern gelähmt würden.
Die Schweiz könne da schon etwas unzeitgemäss wirken. «Der Trend geht eindeutig zu einem Supranationalismus und die Schweiz wird als Bauernrepublik belacht», so Zimmer. «Dabei erweist sich die Schweiz ungeplant als ein hochmodernes System. Für viele Probleme bietet die Schweiz bessere Lösungen an.»
Eine Art Long Covid für die Demokratie?
Auch zum offenen Wintertourismus in der Schweiz hat Zimmer eine Meinung. So habe sich Wolfgang Schäuble (78), der Präsident des Deutschen Bundestages, «schon die Augen gerieben», als er «erfahren habe, dass die Schweiz die Skigebiete offenlässt. Hat sie sich überlegt, wie das bei den europäischen Nachbarn angekommen ist?» Die Schweiz, so Zimmer, passe sich ungern auf Druck an. Sie wolle Unterschiede zulassen.
Zimmer erachtet eine solche Haltung deutscher Politiker als «anmassend»: «Man könnte ja vielleicht sogar von den Schweizern lernen. Aber stattdessen müssen alle gleich leiden, und das ist dann Solidarität.»
Der Geschichtsdozent, zu dessen Schwerpunkten der Nationalismus gehört, will nicht ausschliessen, dass eine Art Long Covid auch die Demokratie der Schweiz verändern könne. Die Frage sei, ob dem Staat langfristig mehr Macht übertragen werde: «Es gibt jetzt mehr Leute», sagt er, «die das genau beobachten und möglichst bald wieder zu einer verfassungsrechtlichen Normalität zurückkehren wollen.» (kes)
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