BLICK: Ihre Eltern haben in der Bosnien-Krise Flüchtlinge aufgenommen. Wie haben Sie das erlebt?
Sebastian Kurz: Ich habe das sehr positiv erlebt. Nicht nur bei uns daheim, sondern in ganz Österreich, wo massiv geholfen wurde. Die Bosnien-Krise ist aber nicht mit den aktuellen Flüchtlingsströmen vergleichbar.
Was ist denn der Unterschied?
Damals flohen Menschen aus unserer unmittelbaren Nachbarschaft vor einem Krieg. Die Menschen mussten zu uns kommen, weil wir ein Nachbarstaat sind. Es waren überwiegend Frauen und Kinder. Die Männer waren noch im Kampfeinsatz oder im Krieg gefallen. Jetzt geht es um Flüchtlinge und Migranten, die sich aus einer ganz anderen Region der Welt und aus ökonomischen Gründen auf den Weg gemacht haben nach Europa.
Aber auch viele der aktuellen Flüchtlinge fliehen vor Kriegen.
Zu einem gewissen Teil kommen sie aus Kriegsgebieten. Wenn sie aber durch zahlreiche europäische Länder durchziehen und ihren Asylantrag ganz bewusst nicht in Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien oder Slowenien, sondern in Österreich, Deutschland oder Schweden stellen; und wenn hier vor allem im letzten Jahr 75 Prozent junge Männer kommen, und Frauen, Kinder und Ältere in der Region zurückbleiben. Dann muss man sagen: Die europäische Einladungspolitik der offenen Grenzen, also die Menschen nach Europa durchströmen zu lassen, ist die falsche Politik.
Was ist die richtige Politik?
Wir müssen helfen, vor allem mit humanitärer Hilfe in der Krisenregion. Und wir sollten gezielt Menschen direkt aus Syrien aufnehmen. Die Briten nehmen zum Beispiel Waisenkinder auf. Aber es wäre eine Selbstaufgabe unserer Verantwortung in Europa und unserer Kontrolle über unser Territorium, einfach jene reinzulassen, die fit genug sind, um die Reise zu überstehen, und die, welche wohlhabend genug sind, Schlepper zu bezahlen. Und es gäbe Schleppern die Möglichkeit zu entscheiden, wer in Europa eine Chance auf eine bessere Zukunft hat – und wer nicht.
Sie stehen für die Schliessung der Balkanroute. Doch die Horrorbilder von Lampedusa sind wieder da. Alleine am Dienstag rettete die italienische Küstenwache 1400 Flüchtlinge aus Booten im Mittelmeer. Experten gehen von über 200'000 Menschen aus, die an der libyschen Küste warten. Was nun?
Wir müssen deutlich mehr investieren in humanitäre Hilfe vor Ort. Und uns von der unbeschränkten Aufnahme von Flüchtlingen in Europa verabschieden. Wenn die Menschen wissen, dass sie nicht mehr nach Deutschland durchmarschieren können, werden immer weniger Menschen Schleppern Geld zahlen, um nach Europa zu kommen. Viele Flüchtlinge kommen nicht nach Europa, um in Griechenland «nur» in Sicherheit zu sein, sondern sie sind auf der Suche nach einem besseren Leben in Deutschland, Österreich oder Schweden. Menschlich zu hundert Prozent nachvollziehbar, aber gleichzeitig ist klar, dass wir das so nicht stemmen können.
Die mazedonische Grenze ist zu. Wenn nun aber über die Mittelmeerroute mehr Flüchtlinge via Italien kommen: Werden Sie die österreichische Grenze im Süden schliessen?
Unser Ziel muss sein, dass auch in Italien Flüchtlinge nicht einfach weitergewinkt werden. Es gibt keine gesetzliche Basis dafür. Jene Menschen, die ankommen, müssen in Griechenland oder Süditalien versorgt werden, und dort muss geklärt werden, ob sie Anrecht auf Asyl haben. Wenn nicht, müssen sie zurück. Flüchtlinge können sich in Europa nicht das Land aussuchen, in dem sie sich die besten Bedingungen versprechen.
Österreich hat quasi im Alleingang mit den Balkanstaaten die Flüchtlingsströme auf der Ostroute gestoppt. Bei aller Kritik: Wie viele europäische Kollegen haben sich bei Ihnen bedankt?
Sehr viele. Es hat ja auch funktioniert. Wir haben das in einer kleinen Gruppe gestartet. Es ist aber wenige Wochen danach als offizielle Linie aller 28 Staats- und Regierungschefs in Brüssel beschlossen worden. Die Schliessung der Balkanroute und der Deal mit der Türkei haben dazu geführt, dass in der letzten Woche nur noch einige Hundert Menschen übers Meer nach Griechenland gekommen sind.
Wie hart soll Europa zu Flüchtlingen sein?
Ich plädiere für einen menschlichen, aber gleichzeitig realistischen Zugang. Mit dem Geld, das es braucht, einen Flüchtling in Mitteleuropa ein Jahr zu versorgen, kann man im Libanon 20 Menschen pro Jahr helfen.
Alleine im Libanon leben neben 4 Millionen Einwohnern aber schon rund 2 Millionen Flüchtlinge. UNO-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi warnt davor, dass der unter der Last zusammenbricht. Da kann man auch nicht mehr Flüchtlinge unterbringen.
Ja. Aber man muss die Flüchtlingszahlen genau ansehen. Es sind nicht nur Syrer nasch Europa gekommen, sondern auch ganz viele andere Menschen. Mit der Politik der letzten Jahre, zieht man nicht nur wirkliche Kriegsflüchtlinge an, sondern auch andere Menschen, die jetzt ihre Chance sehen, nach Europa zu kommen. Das kann nicht das Ziel sein. Es kann sinnvoll sein, in dem Ausmass, wie wir können die schwächsten syrischen Flüchtlinge bewusst nach Europa zu holen. Wohl aber nicht die stärksten egal welcher Herkunft, die versuchen sich an den Grenzen den Weg nach Europa freizuschlagen.
Sie sprachen von Menschlichkeit. Wie erachten Sie die derzeitige Situation der über 10'000 obdachlosen Menschen in Idomeni und an anderen Orten in Griechenland?
Ich mache diesen Menschen keinen Vorwurf. Diese Menschen verharren an der mazedonischen Grenze, weil ihnen im letzten Jahr von europäischen Politikern falsche Hoffnungen gemacht worden sind. Weil sie nach wie vor glauben, dass sie nach Mitteleuropa, speziell nach Deutschland, weiterziehen dürfen. Viele dieser Menschen demonstrieren, dass sie aus dem EU-Land Griechenland in das nicht-EU-Land Mazedonien fliehen können. Das ist eine absurde Situation, die zeigt, wie falsch die Politik des letzten Jahres war. Ich kann nur appellieren, dass sie sich in die griechischen Flüchtlingsquartiere begeben, wo sie menschenwürdig versorgt würden. Österreich hat Griechenland bilateral unterstützt, auch die EU hilft.
Hat Griechenland im Moment genügend Mittel, um die Flüchtlinge zu versorgen?
Das Land hat eine grosszügige Unterstützung. Es ist machbar, die Menschen in Griechenland ordentlich zu versorgen. Es werden auch weniger kommen, denn die Masse der Menschen ist nicht gekommen, um Sicherheit auf Lesbos zu finden, sondern um ein besseres Leben in Mitteleuropa zu starten.
Ab nächstem Montag sollen im Rahmen des Türkei-Deals Flüchtlinge, die in Griechenland anlanden, direkt zurückgeschickt werden. Im Gegenzug sollen syrische Flüchtlinge aus der Türkei nach Europa können. Wie viele wird Österreich aufnehmen?
Zuerst muss der illegale Zustrom gestoppt werden. Österreich hat im letzten Jahr 90'000 Menschen aufgenommen. Pro Kopf am zweitmeisten in Europa. Wir haben einen überproportionalen Beitrag geleistet.
Wer wird denn die ersten Flüchtlinge aus der Türkei aufnehmen?
Das wird erst zu klären sein. Es wird aber keine grosse Zahl zusammenkommen. Denn so viele selbstlose Syrer wird es nicht geben, die einen Schlepper bezahlen, um dann wieder zurückgeschickt zu werden und so einem anderen Syrer den Weg nach Europa ermöglichen. Jetzt werden nicht mehr viele über den Balkan kommen.
Ihre verkündete Obergrenze von 37'500 Flüchtlingen pro Jahr ist ohne Einhaltung rechtlicher Mindeststandards rechtswidrig. Das war absehbar. Warum trotzdem diese Symbolpolitik?
Wir werden unsere Obergrenze einhalten, denn wir haben das Recht, Menschen an der österreichischen Grenze zurückzuweisen, wenn sie aus einem sicheren Land wie Slowenien oder Italien kommen. Es gibt keinen Rechtsanspruch darauf, sich auszusuchen, in welchem Asylland man seinen Antrag stellen will. Auch mit 37'500 Menschen leisten wir einen überproportionalen Beitrag.
Wie beurteilen Sie die Rolle der Schweiz in der Flüchtlingsdebatte?
Die Schweiz ist ein Land, das immer sehr viel humanitäre Hilfe vor Ort geleistet hat und nach wie vor leistet. Ich halte das für den richtigen Weg. Und nicht die unbeschränkte Aufnahme in Mitteleuropa.
Anderes Thema: Finden die Schweiz und die EU schnell eine Lösung über die Anpassung des Personenfreizügigkeitsabkommens? Wie lautet Ihre Prognose?
Ich hoffe sehr, dass es gelingt, eine gemeinsame Lösung zu finden. Und ich denke auch, dass dies möglich ist. Die Schweiz ist für uns ein wichtiger Nachbar, ein wichtiger Partner.
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