Neuer Kostenschub
Operation gelungen, Patient geschröpft

Spitäler verrechnen in Zukunft neue Tarife. Eine Studie zeigt, dass dies uns alle über 100 Millionen Franken mehr kosten kann.
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Von Roman Seiler

Eine alte Regel im Gesundheitswesen lautet: Jedes neue Tarifsystem bringt höhere Kosten. Dies befürchten die Krankenversicherer auch bei der Einführung von Fallpauschalen für die Spitalbehandlung von Patienten.

Bis jetzt verrechnen Krankenhäuser für stationäre Behandlungen Tagespauschalen, das heisst einen fixen Betrag pro Tag: Je länger der Krankenhausaufenthalt, desto mehr verdient der Betreiber.

Ab 2012 soll der Patient Fallpauschalen bezahlen, das heisst einen fixen Betrag pro Ereignis. So kostet etwa die Entfernung der Gallenblase 4500 Franken.

Eine neue Studie enthüllt den Pferdefuss des neuen Systems. Verfasst hat sie der Gesundheitsökonom Willy Oggier im Auftrag von Santésuisse, dem Branchenverband der Krankenversicherer. Sie basiert auf Zahlen aus Deutschland, wo man bereits auf Fallpauschalen umgestiegen ist. Sie nennt zum einen die Tricks, die Spitäler in Zukunft anwenden könnten:

Neu wäre es lukrativ, einen Patienten nach der Umstellung auf Fallpauschalen zu früh zu entlassen. Das kann aber teure Nachbehandlungen zur Folge haben.

Die Spitalverantwortlichen können aber auch versuchen, Behandlungen für Komplikationen zu verrechnen. Je aufwändiger ein Fall, desto höher die Rechnung. Dann kostet das Entfernen der Gallenblase 76 400 Franken, wenn Wundinfektionen entstehen und ein Luftröhrenschnitt vorgenommen werden muss.

Das sind keine Hirngespinste, wie das niederschmetternde Resultat der Studie zeigt:

• 2008 waren 35 Prozent der Rechnungen zu hoch. Im Schnitt zahlten die Krankenhäuser umgerechnet 650 Franken zu viel pro beanstandeten Fall. Das entsprach 15 Prozent des Gesamtbetrags.

• 2007 waren 45 Prozent der Rechnungen falsch. Bei 42 Prozent der Fälle erfolgte eine Korrektur zugunsten der Kassen.

Erhoben wurden diese Daten im deutschen Bundesland Bayern. Dort wurden rund zehn Prozent der von Spitälern abgerechneten Fallpauschalen nachkontrolliert. 2007 mussten Krankenhäuser den Kassen rund 90 Millionen Franken zurückerstatten.

Oggier zieht folgendes Fazit: Das System der Fallpauschalen erfordert Kontrollen. «Ohne Kontrollen zahlen die Schweizer Krankenversicherer nach der Einführung von Fallpauschalen jährlich über 100 Millionen Franken zu viel.»

Die Zeche bezahlen alle. Einerseits über die Steuern: Ab 2012 zahlt der Kanton 55 Prozent der Spitalbehandlungen. Der Rest läuft über die Kassenprämien. Daher verlangt Santésuisse-Direktor Stefan Kaufmann volle Transparenz: «Um Fallpauschalen effizient kontrollieren zu können, benötigen Versicherer die ihnen zugrunde liegende ärztliche Diagnose sowie die Offenlegung der ausgeführten Behandlungen.»

Der Spitalverband H+ weist diese Vorwürfe zurück. Direktor Bernhard Wegmüller sagt, das deutsche System sei mit dem schweizerischen nicht vergleichbar: Nach der Einführung von Fallpauschalen seien bedeutend weniger Rechnungen unkorrekt. Und er betont: «Aus Datenschutzgründen darf kein Spital den Kassen systematisch sämtliche Krankheitsangaben oder Operationsunterlagen liefern. Dies ergab ein Rechtsgutachten.» Jetzt werde ein Kompromiss gesucht.

Schluss mit Lobbying im Bundeshaus!
Die Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr (45) will dem Krankenkassen-Lobbying im Bundeshaus einen Riegel schieben. Die Parlamentarier müssen sich künftig entscheiden: entweder das Mandat bei einem Versicherer oder der Job als National- oder Ständerat. Fehr reicht dazu nächste Woche eine parlamentarische Initiative ein. Diese verlangt, dass Parlamentarier, die in operativen und strategischen Leitungsgremien von Krankenkassen sitzen, nicht mehr der Bundesversammlung angehören dürfen.

Heute sind unter der Bundeshauskuppel nur wenige Branchen so gut vertreten wie die Krankenkassen: Gleich neun National- und fünf Ständeräte haben ein Mandat bei einem Versicherer.

Als wichtigste Interessenvertreter gelten: Ständeratspräsident Christoffel Brändli (65, SVP/GR), Präsident von Santésuisse, dem Branchenverband der Krankenkassen; Eugen David (63, CVP/SG), Verwaltungsratspräsident der Helsana; und Philipp Stähelin (64, CVP/TG), Mitglied der «Groupe de réflexion santé», Groupe Mutuel. Fehr: «Die Gesundheitspolitik ist blockiert, weil die Krankenkassenvertreter nur an die Interessen der Versicherungen denken und so das Gesamtwohl aus den Augen verlieren.»

MARCEL ODERMATT
Die Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr (45) will dem Krankenkassen-Lobbying im Bundeshaus einen Riegel schieben. Die Parlamentarier müssen sich künftig entscheiden: entweder das Mandat bei einem Versicherer oder der Job als National- oder Ständerat. Fehr reicht dazu nächste Woche eine parlamentarische Initiative ein. Diese verlangt, dass Parlamentarier, die in operativen und strategischen Leitungsgremien von Krankenkassen sitzen, nicht mehr der Bundesversammlung angehören dürfen.

Heute sind unter der Bundeshauskuppel nur wenige Branchen so gut vertreten wie die Krankenkassen: Gleich neun National- und fünf Ständeräte haben ein Mandat bei einem Versicherer.

Als wichtigste Interessenvertreter gelten: Ständeratspräsident Christoffel Brändli (65, SVP/GR), Präsident von Santésuisse, dem Branchenverband der Krankenkassen; Eugen David (63, CVP/SG), Verwaltungsratspräsident der Helsana; und Philipp Stähelin (64, CVP/TG), Mitglied der «Groupe de réflexion santé», Groupe Mutuel. Fehr: «Die Gesundheitspolitik ist blockiert, weil die Krankenkassenvertreter nur an die Interessen der Versicherungen denken und so das Gesamtwohl aus den Augen verlieren.»

MARCEL ODERMATT
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