Sie kommen in Scharen: Ende 2012 lebten rund 13'500 Russen in der Schweiz, doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren, so viele wie nie zuvor. Tendenz weiter steigend, sagt Regula Spalinger von der Beratungsplattform Kommunikation Ost-West, und konstatiert «einen stetigen Fluss von Neuzuzügern».
Begonnen hatte alles in den 1980er-Jahren, kurz bevor die Sowjetunion zusammenbrach. Damals eröffneten erste russische Grossunternehmen Niederlassungen in der Schweiz. Etwa die Vorläuferfirma der Sberbank in Zürich – heute mit rund 250 Millionen Privatkunden grösste Bank Russlands. Bedeutsam ist auch die Gazprombank (Switzerland), die zum russischen Energieriesen Gazprom gehört, der in Zug zahlreiche Tochtergesellschaften unterhält.
Zuerst kamen die russischen Firmen. Dann kamen die Menschen. Etwa Margarita Louis-Dreyfus, geborene Bogdanova, zur Welt gekommen im kommunistischen Russland, als St. Petersburg noch Leningrad hiess. Sie heiratete den französisch-schweizerischen Unternehmer Robert Louis-Dreyfus, kam so in die Schweiz – und blieb auch, als Louis-Dreifuss 2009 starb. Heute lebt sie in Zollikon ZH, ist liiert mit dem früheren Nationalbankpräsidenten Philipp Hildebrand.
Zur russischen Wohnbevölkerung in der Schweiz gehören inzwischen Multimillionäre, Präsidentenkinder und neuerdings auch weltweit bekannte Kreml-Kritiker wie der ehemalige Ölunternehmer Michail Chodorkowski.
Vor ihm hatten sich schon russische Oligarchen wie Viktor Vekselberg, Vasily Anisimow, Gennadi Timtschenko in der Schweiz angesiedelt. Und Elena Rybolowlewa. Sie lebt in Genf und sorgte im Mai mit der teuersten Scheidung der Welt international für Furore – nach Schweizer Scheidungsrecht stand ihr die Hälfte des Vermögens zu, welches während zehn Jahren Ehe erwirtschaftet worden war. Das Gericht stellte fest: Das waren über vier Milliarden Franken aus dem Vermögen ihres Ex.
Russen in der Schweiz: Es wird geschieden und geschäftet. Eingekauft und gebaut. Der wohl bekannteste Russe in der Schweiz ist Viktor Vekselberg mit Wohnsitz in Zug. Der Mann, der einst seine erste Million mit Kupfer-Recycling im Russland des Umbruchs gemacht hatte, investierte später Millionen in Schweizer Industrieperlen wie Sulzer oder OC Oerlikon. Und als beim schweizerisch-deutschen Stahlkonzern Schmolz + Bickenbach sich Verwaltungsrat und Gründerfamilien in den Haaren lagen, sprang der Russe geschickt dazwischen und schnappte sich die Firma.
Ähnlich unzimperlich agierte auch Landsmann Vasily Anisimow, als er in Küsnacht ZH eine 30-Millionen-Villa im russischen Klassizismus bauen liess: Er schickte seine Adlaten mit Blumensträussen und dicken Brieftaschen ins Dorf, um Nachbarn zu überzeugen, ihm auch ihre Grundstücke zu verkaufen. Inzwischen sollen allerdings nur noch Frau und Kind im Prunkbau an der Goldküste hausen, er selber im ähnlich steuergünstigen, aber weniger sonnigem Wollerau SZ.
Wenn es etwas zu holen gibt, was schön und teuer ist, sind Russen oft nicht fern. Als das Luzerner Bijou Château Gütsch einen Käufer suchte, tauchte der Oligarch Alexander Lebedew auf und kaufte das 1888 erbeute Lustschlösschen auf dem Luzerner Hausberg. Russisch gesprochen wird nicht nur dort. Für fast 30'000 Menschen im Land ist Russisch inzwischen die Hauptsprache.