«Damit wird natürlicher Zersetzungsprozess beschleunigt»
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Besuch im Krematorium:Jochen Lutz erklärt den Prozess der Lavation

Neue Bestattungsmethode auch in der Schweiz?
Familie Lutz will Leichen auflösen – und damit Geld verdienen

Ein Schacht, ein Knopfdruck und der Körper zerfällt. Was nach Mafiamethoden klingt, ist die Vision einer deutschen Bestatter-Familie. Nun will sie expandieren – in die Schweiz.
Publiziert: 17.08.2025 um 19:58 Uhr
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Aktualisiert: 17.08.2025 um 22:51 Uhr
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Sandra und Jochen Lutz betreiben fünf Krematorien in Deutschland.
Foto: Philippe Rossier

Darum gehts

  • Die Familie Lutz möchte eine alternative Bestattungsmethode etablieren: Verstorbene in Flüssigkeit auflösen
  • Sie planen auch, in die Schweiz zu expandieren und stehen in Kontakt mit der Stadt Zürich
  • Das Verfahren gilt als umweltfreundliche Alternative zur Feuer- oder Erdbestattung
  • Es gibt aber auch Kritik aus der Wissenschaft, da private Firmen dahinterstecken
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Sein Geschäft ist der Tod. Das, was zurückbleibt: der Kadaver, die Leiche. Jochen Lutz (52) verbrennt beides. Er betreibt fünf Krematorien in Deutschland, zwei für Tiere, drei für Menschen. Doch Lutz will mehr. Er hat eine Vision, die an Mafiamethoden erinnert: Tote auflösen. Lutz sagt es so: «Wir wollen die Bestattungswelt neu gestalten und den Menschen Alternativen ermöglichen – in Deutschland und in der Schweiz.»

«Wir», das sind er, seine Ehefrau Sandra Lutz (49) sowie drei Söhne. Alle arbeiten im eigenen Betrieb – Bestattung als Family Business. Die fünf gelten in der Branche als innovativ. Seit Anfang Jahr führen sie Deutschlands erstes Krematorium, in dem Haustiere und Pferde mit einer Flüssigkeit zersetzt werden. Menschenkörper wollen sie ebenfalls auflösen, dürfen aber (noch) nicht. Bislang sind in Deutschland wie in der Schweiz lediglich Erd- oder Feuerbestattungen zugelassen.

Sandra Lutz sieht das nicht ein. «Ich möchte mit meinem Körper nicht in die Erde oder im Feuer sein», sagt sie. Feuer sei aggressiv, zerstörerisch. Wasser dagegen sanft: «Wir kommen vom Wasser und enden im Wasser.» Es sei eine Rückkehr zum Ursprung, «der sanfte Weg», eine Umkehr der Geburt.

Mister Krematorium

Konkret führt dieser «sanfte Weg» durch eine zwei Tonnen schwere Anlage aus Edelstahl, 5 Meter lang, 1,20 breit und 1,80 hoch. Künftig soll die Maschine in «sanftes Holz» gekleidet werden, um eine «würdevolle Erscheinung» zu bieten, wie Sandra Lutz sagt. Ihre Familie hat die Anlage selbst entworfen, eigenhändig gebaut, allen voran Jochen Lutz, Mister Krematorium. In Deutschland sitzt er in einem «Richtlinienausschuss», einem 14-köpfigen Gremium, das nationale Standards für Krematorien erarbeitet.

Sein Prototyp, die Auflösungsanlage, steht in einem Krematorium im Wald, etwas ausserhalb der Stadt Schwäbisch Hall. Lutz drückt einen Hebel, eine zwölf Zentimeter dicke Tür schwingt auf. Dahinter wird ein schmaler, dunkler Schacht sichtbar. Darin eine Bahre auf Rädern, gross wie ein Sarg: «Passt für Verstorbene bis ca. 150 Kilogramm», sagt Lutz. Liegt da ein Toter, wird die Stahltür verschlossen, ein Knopf gedrückt, und der Prozess beginnt.

Lutz beschreibt den Vorgang so: Aus Düsen wird eine basische Flüssigkeit versprüht, «wie in einem Dampfbad». Die mischt sich mit Mineralien, «die ebenfalls eingebracht werden». Welche Stoffe das genau sind, will Lutz nicht verraten: «Ein Geheimrezept.» Im Innern der Anlage steigt die Temperatur auf 90 Grad. Dann beginnt die Chemie zu arbeiten: In 10 bis 16 Stunden, je nach Gewicht, zerfällt der Körper.

Übrig bleiben lediglich Knochen und Zähne. Die werden zermahlen und kommen in eine Urne. Der Rest enthält «keine DNA, nichts Menschliches, nur Prozesswasser», erklärt Lutz. Am Schluss wird die Flüssigkeit in die Kanalisation entlassen. Ein Vorgang, den er keineswegs entwürdigend findet. «Bei der Feuerbestattung fängt ja auch niemand den Rauch ein.»

In manchen Staaten bereits legal

Die Familie nennt das Verfahren «Lavation», ihre Maschine «Lavarium», beide Begriffe haben sie selbst erfunden. Die Methode selbst existiert schon lange. In der Wissenschaft heisst sie «alkalische Hydrolyse» – entwickelt Ende des 19. Jahrhunderts, um Tierkadaver zu Dünger zu verarbeiten. Hundert Jahre später adaptierten zwei US-Forscher das Verfahren für Menschen.

Heute ist es in vielen US-Bundesstaaten erlaubt, Menschenkörper zu verflüssigen. In Deutschland passte ein erstes Bundesland – Schleswig-Holstein – sein Gesetz so an, dass «alternative Bestattungsformen» zugelassen werden können. Familie Lutz hat ihre Unterlagen bereits eingereicht. Nun wartet sie auf die Zulassung eines Pilotprojekts: «Wir hoffen, dass wir in zwei Monaten loslegen dürfen», sagt Sandra Lutz.

Die Familie will auch in die Schweiz expandieren. Seit einem halben Jahr steht sie mit der Stadt Zürich in Kontakt, wie das Bestattungs- und Friedhofsamt bestätigt. «Grundsätzlich sind wir daran interessiert, dass in Zukunft die Lavation in der Stadt Zürich angeboten wird», schreibt Rolf Steinmann (62), der städtische Fachexperte für Bestattungen. Derzeit seien «Abklärungen im Gange», um «Chancen und Risiken» zu analysieren. Konkret bereitet sich die Stadt auf allfällige Fragen zu den Themen Umweltschutz, Ethik, Religion und Prozessen vor.

Doch die Stadt Zürich kann noch so viele Abklärungen treffen – das letzte Wort hat der Kanton. Denn Bestattungen sind in der Schweiz kantonal geregelt. Steinmann zeigt sich dennoch zuversichtlich. Aktuell prüft der Kanton Zürich die Kompostbestattung, eine andere, alternative Methode. Schafft die es ins Gesetz, hätte auch die Lavation gute Chancen, meint Steinmann.

Die Lavation, eine Blackbox

Noch gibt es in der Schweiz keine Vorschriften, keine Standards, die ein Wasserkrematorium zu erfüllen hätte. Sandra Lutz sagt, es sei ihnen bewusst, dass die Lavation nicht von heute auf morgen eingeführt werde. Aber: «Die Frage ist nicht ob – sondern wann.» Denn die Lavation sei die nachhaltigste Bestattungsform.

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass die alkalische Hydrolyse die Umwelt weniger belastet als Feuer- oder Erdbestattungen. Ein 2023 erstelltes Ethik-Gutachten der Universität Bonn – im Auftrag der Familie Lutz – stellt fest, aus ethischer Sicht gebe es «keine grundsätzlichen Einwände.» In den Niederlanden, wo die Methode seit längerem geprüft wird, meinte der Gesundheitsrat 2020: «Die Bedingungen in Bezug auf Sicherheit, Würde und Nachhaltigkeit sind erfüllt.» Also alles kein Problem?

Vincent Varlet (43) ist der oberste Leichen-Experte der Schweiz. An der Universität Lausanne leitet er das Institut für Forensik Taphonomie, das untersucht, was mit Organismen nach dem Tod geschieht. Der Professor findet die alkalische Hydrolyse: «Gut.» Bei einer Kremation entstehe viel CO2, daher brauche es Alternativen. «Aber» – und es gibt immer ein Aber, so Varlet: «Die Lavation ist eine Blackbox.»

Tote Körper als Ware

Weltweit sind es private Unternehmen, die die Zersetzung menschlicher Körper vorantreiben. Firmen, die auf Profit aus sind – und die Baupläne zu ihren Anlagen unter Verschluss halten. Die Öffentlichkeit erfährt nichts über die genaue Funktionsweise der Maschinen. Auch die Familie Lutz hat ihr «Lavarium» patentiert. «Das geht nicht», findet Varlet. Die Wissenschaft werde ausgeschlossen, es fehle eine offene, unabhängige Debatte über die Risiken.

Seine Kritik reicht aber noch tiefer, Varlet wird grundsätzlich: «Der menschliche Körper ist kein Ding.» Es sei falsch, wenn Private ihr Geld mit der Entsorgung von menschlichen Überresten verdienen. Der tote Körper verkomme zur Ware. «Ein Teil der Menschlichkeit geht verloren.» Wenn, dann müssten Behörden die Anlagen betreiben.

Die Familie Lutz sieht sich als Anstossgeber. Sie wollen eine Debatte auslösen, sagt Sandra Lutz – die Menschen dazu bringen, über den Tod nachzudenken. «Früher oder später betrifft es jeden.» Als Gesellschaft müsse man darüber sprechen. Und sich selbst fragen: Wie soll mein letzter Weg aussehen?

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