So schön die Landschaft am Gersauerberg, so vergiftet ist die Stimmung. Ein bitterer Streit ist entbrannt. Ein Streit um Tradition und darum, was ein richtiger Bauer ist. Franz Camenzind (58) aus Gersau SZ wollte bloss andern eine Freude machen – jetzt ist er wütend und enttäuscht.
Drei Sommer lang hat er jeden Abend am Berg hoch über dem Vierwaldstättersee den Betruf gesungen. «Vorher machten das drei andere Bauern. Sie sind leider alle gestorben. Jetzt mache halt ich den Betruf weiter. Ich will diesen alten Brauch unbedingt erhalten», sagt Camenzind.
Doch seit Wochen ertönt kein Betruf mehr am Gersauerberg. Auch der heimelige Juchzer am Schluss hallt nicht mehr über den See. Schuld sind Neider – Bauern und Älpler am Gersauerberg. «Einige Bauernsöhne finden, so etwas gehöre sich nicht», sagt Camenzind. «Sie sind dagegen, dass ich den Betruf mache, weil ich nicht mehr selber Bauer bin», sagt er.
Franz Camenzind hat seinen Hof 2006 dem Sohn übergeben. «Ich bin aber noch immer mit Leib und Seele Bauer», sagt Camenzind, der als Landschaftsgärtner arbeitet. Seine Neider bleiben dabei: Er sei kein Landwirt, also habe er kein Recht, den Alpsegen zu rufen.
Der Betruf wird beinahe im ganzen katholischen Schweizer Alpengebiet auch heute noch gepflegt. In der urtümlichen Gebetslitanei werden der dreieinige Gott, die heilige Familie und die am Ort verehrten Heiligen angerufen und um Schutz für Mensch und Tier, Hab und Gut gebeten.
Zwei Sommer lang rief Camenzind unbehelligt vom Berg. Von Anfang Mai bis Mitte September. Jeden Abend um die gleiche Zeit. Dieses Jahr hat er mitten im Sommer aufgehört. «Es war mir einfach alles zuwider. Das Gemotze ging ja schon im letzten Winter los», sagt Camenzind.
«Am meisten getroffen hat mich, dass ich alles nur hintenrum erfahren habe. Die Leute hatten nicht einmal die Grösse, mir ihre Kritik direkt ins Gesicht zu sagen.»
Aufgeben will Franz Camenzind aber nicht. «Im nächsten Frühling mache ich den Betruf wieder. Das habe ich mit dem Diakon abgemacht», sagt er. «Ich lasse mir sicher nicht verbieten, einen alten Brauch weiterzuführen. Ich tue das nämlich aus Leidenschaft. Und sonst will es ja sowieso keiner machen – auch niemand von denen, die ständig rummotzen.»
Diakon Edy Imhof freut sich darüber. «Ich finde es schön, dass er sich nicht entmutigen lässt. Er wurde ja auch von anderen gebeten, weiterzumachen», sagt Imhof. «Die Kirchgänger und ich hatten immer grosse Freude, wenn er den Betruf am Berg machte. Es ist ein sehr schöner Brauch.»