Ganz schön fleissig: Wirtschaftlich tragen Wildbienen durch die Bestäubung von Kulturpflanzen gleich viel bei wie die Honigbienen. Eine Gehörnte Mauerbiene (Osmia cornuta) bei der Arbeit auf einer Rapsblüte
Foto: Matthias Tschumi/Agroscope

Nach einer psychischen Erkrankung findet Markus Sulser seine Bestimmung bei den Wildbienen
Ex-Finanzanalytiker baut jetzt Nisthilfen

Markus Sulser fand nach seiner seelischen Erkrankung eine neue Aufgabe: in der Holzwerkstatt der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern.
Publiziert: 28.04.2019 um 00:03 Uhr
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Aktualisiert: 11.05.2019 um 10:41 Uhr
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Markus Sulser (54) arbeitet in der Holzwerkstatt der Universitären Psychiatrischen Diensten Bern. Diese bieten geschützte Arbeitsplätze an. Nach einer seelischen Erkrankung hat Sulser hier eine neue Bestimmung gefunden.
Foto: Siggi Bucher
Dana Liechti

Nun summen sie wieder! Von Blüte zu Blüte und auf der Suche nach einem ­Zuhause für ihren Nachwuchs: die Wildbienen. Manchmal aber ­suchen sie vergebens: «Durch 
die Urbanisierung und intensive Landwirtschaft haben wir ­Menschen den Wildbienen viel Lebens­raum weggenommen», sagt Markus Sulser (56).

Die Wildbienen, die im Gegensatz zu ihren domestizierten Schwestern keinen Honig produzieren, sind vom Aussterben bedroht. Darum baut Sulser ­ihnen Nisthilfen, kleine Häuschen, in die sie ihre Eier legen können.

Markus Sulser – weisser Bart, gutmütige Augen, Handwerkerhände – arbeitet in der Holzwerkstatt der Universitären Psychiatrischen Dienste in Bern. Einrichtungen wie diese bieten psychisch erkrankten Menschen die Möglichkeit, im zweiten Arbeitsmarkt Fuss zu fassen (siehe Box unten). In Bern werden unter anderem Bienenhäuschen hergestellt, 600 bis 700 Stück im Jahr.

Zweite Chance – für Menschen und Bienen

In der Holzwerkstatt ist es laut. An grossen Maschinen hantieren Männer mit langen Holzstücken, Späne fliegen zu Boden. Sulser ist fürs Zusammensetzen der Einzelteile zuständig. Schritt für Schritt erklärt er, wie ein Bienenhäuschen entsteht: Zuerst werden die Holzstücke zugeschnitten und von Hand geschliffen, einzelne Teile bemalt, dann Wände, Dach und Boden zusammengeleimt und mit Schrauben befestigt. Am Schluss wird das Häuschen mit ausgehöhlten Bambusröhrchen befüllt, in die die Wildbienen dann ihre Eier legen. Auch die Röhrchen werden sorgfältig geschliffen, «damit sich die Bienen ihre filigranen Flügel nicht verletzen», sagt Sulser.

Für die Bambusröhrchen ist Maja Bolliger* zuständig. Vorsichtig legt sie eines nach dem anderen in die Nisthilfe. Sie habe selbst ein Häuschen auf ihrem Balkon, erzählt sie. «Im April und Mai fliegen die Bienen den ganzen Tag und bringen Material fürs Ausstopfen der Röhrchen mit. Das beobachte ich gerne.»

Markus Sulser streicht mit den Händen über ein Stück geschliffenes Holz. Schon als Kind mochte er das Material. «Später war die Holzbildhauerei mein liebstes Hobby.» Zum Beruf gemacht hatte er sich die Arbeit mit Holz vorerst trotzdem nicht. Er war ­Finanzanalytiker, beschäftigte sich mit Zahlen und Sprachen. Bis es zu viel wurde: Sulser erlitt eine psychische Erkrankung, auf dem ersten Arbeitsmarkt kann er heute nicht mehr tätig sein. «Dieses Kapitel habe ich abgeschlossen», sagt er.

Erster und zweiter Arbeitsmarkt

Als erster Arbeitsmarkt wird der reguläre Markt für Arbeitskräfte bezeichnet. Personen, die daran wegen psychischer oder körperlicher Einschränkungen nicht teilhaben können, bietet der sogenannte zweite Arbeitsmarkt die Möglichkeit, sich im geschützten Rahmen zu betätigen – für reduzierten Lohn. Damit soll ihnen eine geregelte Tagesstruktur und der Anschluss an die Gesellschaft geboten werden.

Die letzten Zahlen zum zweiten Arbeitsmarkt veröffentlichte das Bundesamt für Statistik im Jahr 2013. Damals arbeiteten 18'122 Menschen in Werkstätten, die einer Institution für Menschen mit Behinderungen, für Suchtkranke oder Personen mit psychosozialen Problemen angeschlossen sind.

Als erster Arbeitsmarkt wird der reguläre Markt für Arbeitskräfte bezeichnet. Personen, die daran wegen psychischer oder körperlicher Einschränkungen nicht teilhaben können, bietet der sogenannte zweite Arbeitsmarkt die Möglichkeit, sich im geschützten Rahmen zu betätigen – für reduzierten Lohn. Damit soll ihnen eine geregelte Tagesstruktur und der Anschluss an die Gesellschaft geboten werden.

Die letzten Zahlen zum zweiten Arbeitsmarkt veröffentlichte das Bundesamt für Statistik im Jahr 2013. Damals arbeiteten 18'122 Menschen in Werkstätten, die einer Institution für Menschen mit Behinderungen, für Suchtkranke oder Personen mit psychosozialen Problemen angeschlossen sind.

Die Familie habe ihn getragen. Und auch die Arbeit in der Werkstatt. Arbeitet Sulser an seinen Nisthilfen, sieht er vor seinem ­inneren Auge die künftigen Bewohner summen. Das macht ihn glücklich. «Ich weiss, wofür ich diese Arbeit hier mache», sagt er. «Ich kann zum Weiterbestand der Wildbienen beitragen, das ist ein schönes Gefühl.»

Schliesslich habe er auch seinen mittlerweile erwachsenen Kindern immer gesagt, «wenn die Bienen nicht mehr da sind, gibt es uns Menschen auch nicht mehr».

Mehr Akzeptanz für Menschen mit psychischen Erkrankungen

Sulser ist engagiert. Es nervt ihn, dass die Menschen die Natur verschmutzen. Er sei vielleicht idealistisch, sagt er. Aber er hofft, einen kleinen Teil dazu beizutragen, die Welt besser zu machen. Darum habe er auch nicht gezögert, den Leuten einen Blick hinter die Kulissen der Holzwerkstatt zu gewähren.

Er möchte mehr Akzeptanz schaffen für die Betroffenen psychischer Erkrankungen. «Seelische Verletzungen sind genauso schmerzhaft wie körperliche, aber man sieht es den Menschen leider nicht an», sagt er.

Sein Herzenswunsch? Dass Menschen wie er endlich nicht mehr stigmatisiert werden. Und dass er den Wildbienen mit seinen Nisthilfen dabei helfen kann, ein Zuhause zu finden.

*Name geändert

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