Nach 23 Jahren soll Kinderhütedienst schliessen
Zürich hat kein Herz für Kinder

Vor sechs Jahren gab die Stadt noch grünes Licht. Nun droht dem Hütedienst im Zürcher Seefeld das Aus, weil er nicht regelkonform sei.
Publiziert: 10.03.2013 um 19:10 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 06:26 Uhr
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Tammy Gross, umringt von kleinen Kunden.
Von Gabriela Battaglia

Das Daycare Center im Zürcher Seefeld: 14 Kinder spielen hier unter Aufsicht von Tammy Gross und ihren drei Betreuerinnen. Die Stimmung ist herzlich an diesem Freitagmorgen, die Kinder und die vier Frauen sind fröhlich, scherzen und lachen.

Gehts nach den Behörden, soll es hier bald grabesstill sein. Ausgerechnet in Zürich, wo vor Wochenfrist der Familien-Artikel 67 Prozent Ja bekam.

Die Behörden der rot-grünen Stadtregierung wollen den Babysitterdienst von Tammy Gross schliessen. Denn in der Zürcher Bürokratie hat es keinen Platz für ihr einzigartiges Konzept, das sich seit 23 Jahren bewährt.

Die Fünfzimmerwohnung im Parterre ist liebevoll eingerichtet. In Büchergestellen stapelt sich Spielzeug, für die Jüngsten gibt es ein Laufgitter. In der Küche wird am Mittag das warme Essen zubereitet.

Einzigartiges Angebot

Jetzt droht der zierlichen Israelin plötzlich das Aus. «Ich bin empört», sagt sie. «Ich habe Tausende von Notsituationen gelöst. Weil ich Eltern etwas anbiete, das es sonst nicht gibt.»

Und tatsächlich: In Tammy’s Daycare Center kann man sein Kind spontan für ein paar Stunden abgeben. Egal, ob es sich um einen Notfall handelt, man unregelmässig arbeitet oder nur für ein paar Tage in der Stadt ist.

«Wir haben zum Beispiel Künstlerinnen, die für ein befristetes Engagement am Opernhaus in Zürich sind», sagt Gross. «Sie sind dankbar, dass sie ihr Kind zu uns bringen können. Und weil wir auch Englisch sprechen, haben wir viele Expats, die in Zürich leben.»

Tammy Gross schliesst mit den Eltern keine Verträge ab, wie es in Kinderkrippen üblich ist. «Ich betreue die Kinder nach Bedarf. Gerade das schätzen die Eltern.» Mit ihren drei Angestellten kümmert sie sich in der Regel um zehn bis 20 Kinder.

In Israel hat sich Gross zum «Kindergarten Teacher» ausbilden lassen. Einen Schweizer Abschluss als Krippenleiterin hat sie nicht. «Das brauche ich auch nicht», sagt sie. «Ich führe ja keine Krippe.»

Die Krippenaufsicht des Zürcher Sozialdepartements sieht das anders: Das Angebot sei mittlerweile kein Babysitting mehr. Bei einem Besuch habe man 15 Kinder angetroffen. Die Qualität des Daycare Center wird nicht kritisiert. Doch Gross müsse die Auflagen für eine Kinderkrippe erfüllen.

«Die Richtlinien wurden vom Kanton verfasst. Wir setzen diese lediglich um», sagt Thomas Meier, Sprecher des Zürcher Sozialdepartements. «Wir können keine Ausnahmen bewilligen. Das wäre gegenüber den anderen Kinderbetreuungsstätten in Zürich höchst unfair. Auf diesem Markt müssen für alle die gleichen Regeln gelten.»

Höhere Tarife wären nötig

Noch 2006 war die «Chinderhüeti» vom gleichen Departement als «nicht bewilligungspflichtig» taxiert worden. «Es hat sich nichts geändert», sagt Tammy Gross. «Ich will nichts ändern, weil ich flexibel bleiben will. Die Eltern wollen das auch.»

Um den bürokratischen Anforderungen zu genügen, müsste sie fixe Verträge, vorgeschriebene Präsenzzeiten und viel höhere Tarife festlegen.

Die letzte Frist, um das Daycare Center in eine Kinder­krippe umzuwandeln, läuft Ende Juni ab. Bis dann müssen sie diverse Massnahmen umsetzen. Zum Beispiel alle Treppen kindersicher machen – obwohl es in der Parterrewohnung gar keine gibt.

Tammy Gross und die Eltern wehren sich. «Warum lassen sie nicht die Eltern beurteilen, ob meine Betreuung für ihre Kinder das Richtige ist?», so die Hütedienst-Gründerin. «Wir kämpfen weiter für unser Konzept.»

Im schlimmsten Fall droht Tammy’s Daycare Center die Zwangsschliessung. Die Räume würden dann versiegelt. Und wahrscheinlich von einer «richtigen» Kinderkrippe übernommen.

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