Mysteriöser Kriminalfall im Centovalli TI
Sie wurden von Toten ausgeraubt

Nach Einbrüchen in fünf Häusern stürzen zwei Täter der Bande 40 Meter tief in die Schlucht – und sterben.
Publiziert: 09.10.2014 um 19:50 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 23:21 Uhr
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Bei Nachbarin Heidi Nawratil plünderten die Diebe den Schmuck, Erinnerungsstücke von ihren Fernreisen.
Foto: Remy Steinegger, Rescuemedia
Von Myrte Müller

Dichter Nebel liegt im Tessiner 123-Seelen-Ort Borgnone am Ende des Centovalli, als sich Myste­riöses ereignet. Erst brechen am Mittwochabend Unbekannte in vier Häuser ein, am nächsten Tag findet die Polizei die Leichen von zwei Rumänen an einem Waldhang in der Nähe. Zwei Einbrecher sind in den Tod gestürzt!

Den Abend des 8. Oktober werden die Einwohner nicht so schnell vergessen. Ein Mann klopft an die Tür eines Gemeindearbeiters. Blut fliesst über sein Gesicht, er hat einen Schnitt an der Stirn. Er sucht Hilfe. Fabio L. (26) folgt ihm 100 Meter durch die Finsternis bis zur kleinen Brücke. Tief unten gurgelt die Melezza.

Ein Wimmern dringt durch den Nebel vom Bach herauf. Dann Totenstille. Fabio L. dreht sich zum Fremden um. Aber der Mann ist weg, wie vom Nebel verschluckt. Kurz nach 21 Uhr geht der Alarm bei der Ambulanz ein, wenig später auch bei der Polizei. Doch als diese eintrifft, sei der Verletzte nicht mehr dagewesen, sagt die Polizei. Lagen da die abgestürzten Männer schon im Flussbett und hofften auf Hilfe?

Die Beamten kümmern sich um anderes. Denn es ist nicht der einzige Anruf an diesem unheimlichen Abend. Nach 22 Uhr melden mehrere Bewohner der Fraktion Lionza oberhalb von Borgnone Einbrüche. «Ich kam vom Pizzaessen nach Hause. Da sah ich das Durcheinander. Alle Schubladen aufgerissen, meine Schatullen geleert. Armbänder aus dem Iran, Goldketten aus Indonesien, wertvoller Schmuck – alles geklaut», sagt Heidi Nawratil (72).

Seit 14 Jahren ist die gebürtige Deutsche in Borgnone zu Hause. Der Schrecken sitzt ihr in den Knochen: «Sie haben die Türe aufgebrochen, die Schmucktruhe aufgerissen.» Nachbarin Roswitha Künzli (73) wird ebenso von den Dieben heimgesucht. Auch sie ist auswärts essen, als die Rumänen einbrechen. Sie verbiegen die Türscharniere, um ins Haus zu kommen, geben auf, als Hund Nicky anschlägt.

«Seit 20 Jahren lebe ich in Borgnone, so etwas ist hier noch nie passiert», sagt Roswitha Künzli. Etwas unterhalb liegt das Eigenheim von Antonio Balassi (57). Der Maler schläft. Die Rumänen schreckt seine Anwesenheit nicht ab. «Sie kamen sogar ins Schlafzimmer, haben da herumgekramt», erzählt der Tessiner. Er merkt nichts. Erst als Ehefrau Bernadette (55) nach 23 Uhr nach Hause kommt, rufen auch sie die Polizei. 

Was genau nach den Einbrüchen passiert ist, ist noch unklar. Sprangen die Rumänen auf der Flucht von der Bergstrasse in den Waldhang? Im Regen ist das Laub glatt wie Schmierseife. Zwei der Täter stürzten 40 Meter in die Tiefe.

Die Polizei sagt, sie sei nur über den Mann mit der Wunde am Kopf informiert gewesen. Nicht über mögliche Verletzte am Hang. Sie sucht bis um zwei Uhr morgens nach den Einbrechern. Ohne Erfolg. Am nächsten Morgen helfen Spürhunde. Gegen elf Uhr werden die zwei Toten am Ufer der Melezza entdeckt. Junge Männer. In Trainingsanzügen und Turnschuhen. Die Rega bringt die Leichen im Heli fort. Vom möglichen Dritten mit der Kopfverletzung fehlt jede Spur.

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