Endlich sagte er die Wahrheit: Nach knapp fünf Wochen in Untersuchungshaft gestand der 17-jährige Arbeitslose Kris V.* aus Mägenwil AG, dass er die gleichaltrige Boi aus Schwyz getötet hatte. Dies hat der Aargauer Kripochef Urs Winzenried gestern an einer Pressekonferenz in Aarau bekannt gegeben.
Alles passierte am Freitag, dem 7. August 2009. Am Morgen reisst Boi daheim aus, fährt mit dem Zug ins Tessin. In Sessa TI besitzt die Familie von Kris ein Ferienhaus – «die beiden haben sich telefonisch abgesprochen, um sich zu treffen», so Winzenried. Die Teenager haben sich noch nie zuvor gesehen, kennen sich nur aus dem Internet, von Computerspielen und Seiten wie «Netlog».
Boi bleibt nicht den ganzen Tag bei Kris – sie sucht noch eine Unterkunft. Doch am frühen Abend gehen die beiden zusammen spazieren.
«Er gibt an, sehr spontan den Entschluss gefasst zu haben, das Mädchen zu töten», so Winzenried. «Das Motiv ist noch nicht ganz klar – oder nicht ganz nachvollziehbar. Er sagt, sie habe ihn genervt. Weil sie so viel redete.»
Kris nimmt ein Scheit von einer Holzbeige, schlägt damit mehrmals gegen Bois Kopf. Als sie regungslos am Boden liegt, schleppt er ihren Körper an eine abgelegene Stelle, deckt ihn mit Laub zu. Er nimmt Kleidungsstücke und ihr Handy mit – einen Teil der Gegenstände findet die Polizei später im Tessiner Ferienhaus und daheim in Mägenwil.
Dann geht Kris seelenruhig zurück ins Ferienhaus. Seiner Mutter erzählt er nichts.
Am nächsten Tag kehrt er an den Tatort zurück. Um sich zu vergewissern, dass Boi tot ist.
«Seine Aussagen sind glaubhaft, schlüssig, zutreffend. Für uns bestehen keine Zweifel daran, dass er Boi getötet hat», so Kripochef Urs Winzenried.
Und auch in der Parallelwelt von Rollenspielen und Netlog fällt Kris durch Gewaltbereitschaft auf. Sein Avatar (Kunstfigur) in dem japanischen Fantasy-Spiel «Kingdom Hearts» heisst «Dark Soldier Vanitas». Ist gross, stark – und böse. Auf Netlog schreibt er über sich: «Wut und Hass sind die Wahrheit. Kingdom Hearts erfüllt mich mit der Macht der Dunkelheit ...» Im Chatroom flirtet Kris mit mehreren Mädchen gleichzeitig. Verletzt sie und baut sie danach wieder auf. Dann warnt er: «Du solltest Dich nicht in mich verlieben ...»
In dieser Scheinwelt lernen sich Kris und Boi kennen. Hier können die Teenager aus der Realität fliehen und durch ihre Avatare die sein, die sie im wahren Leben gerne sein möchten.
Doch im Gegensatz zu Kris’ Avatar ist der von Boi weich, freundlich und schön. Sie nennt ihn «Eternity», Ewigkeit. Auf ihrem Profil schreibt die junge Vietnamesin, dass sie Klavierspielen liebt, ihre Eltern und ihren Schatz. Am liebsten spielt Boi, die eine Lehre beim Musikhaus Hug in Zürich begonnen hat, auf dem Piano die Titelmusik ihrer Lieblingsspiele «Kingdom Hearts» und «Final Fantasy» nach. Die Videos davon stellt sie auf Netlog.
Heute vor einem Jahr postete Boi das letzte Mal einen Eintrag auf Netlog. Die 17-Jährige alberte mit einer Freundin herum. «Ich weiss nu ish es so luschtig.»
Längst ist aus Bois Profil ein Internet-Kondolenzbuch für das getötete Mädchen geworden. «Wir werden Dich immer in Erinnerung behalten», schreibt etwa «Roxas». Und malt ein heulendes Smileygesicht dazu. *Name bekannt.