Darum gehts
- Elternteil schüttelte Kleinkind fast zu Tode. Nun ist es schwerstbehindert
- Weitere Vorwürfe gegen beide Eltern
- Vater kassiert 12 Jahre Haft, Mutter bedingte Freiheitsstrafe
Hiermit ist die Urteilsverkündung zu Ende.
«Brüchli»?
Der Gerichtspräsident betont in der summarischen Urteilsbegründung, dass die Haltung des Beschuldigten Vater zweieinhalb Jahre nach den Taten auf Unverständnis stösst. «Nach zweieinhalb Jahren, die Sie zur Selbstreflexion hätten nutzen können, reden Sie noch immer von ‹Brüchli›. Das Kleinkind hatte keine ‹Brüchli›, sondern Knochenbrüche! Knochenbrüche, die sie ihm zugefügt haben.»
Kein Missgeschick, sondern Straftaten
Der Gerichtspräsident hält fest, dass das Baby ab der dritten Woche körperlichen Übergriffen ausgesetzt war. «Das war weder ein Missgeschick, noch ein Unfall – sondern durch einen Straftäter begangene Straftaten.» Der Richter redet dem beschuldigten Vater ins Gewissen: «Sie führten aus, Sie hätten das Kind nie grob behandelt. Aber Sie haben es misshandelt. Nicht einmal, nicht zweimal, nicht dreimal – vielmehr mehrfach. Und das ab einem Moment, als das Kind nicht viel mehr als ein ‹Hämpfeli› Leben war.»
Grundlose Gewalt
Der Richter hält fest, dass der Säugling ohne auch nur ansatzweise nachvollziehbaren Grund misshandelt wurde. «Die Gewalteinwirkung hat sich im Einzelfall über eine einmalige Handlung hinaus erstreckt», sagt der Richter. Und weiter: «So wurde zum Beispiel nebst dem ‹Füsschen› auch noch zusätzlich das linke ‹Händchen› malträtiert. Warum?», fragt der Richter. Als emotionalen Trigger habe der Beschuldigte konsequent Hass, beziehungsweise einen hässigen Zustand, angegeben.
«Brachiales Einwirken ist beispiellos»
Weiter sagt der Gerichtspräsident, dass der Vater die Verletzung des Säuglings in Kauf genommen habe. Der Beschuldigte habe das Kind in das Sofa gedrückt. Das Baby hörte schliesslich wegen fehlender Sauerstoffzufuhr mit dem Weinen auf. «Ein solch brachiales und empathieloses Einwirken ist beispiellos», sagt der Richter.
Freispruch für sexuelle Handlungen mit Kindern
Beide Eltern werden von den Vorwürfen der sexuellen Handlungen mit Kindern und dem Vorwurf der Pornografie freigesprochen. Der Gerichtspräsident sagt, dass objektiv keine sexuellen Handlungen stattgefunden haben. Die Visionierung der von der Anklage angeführten Videos hätten das eindeutig ergeben. Auf dem einen Video besteht die Gesamtsituation in einem kämpferischen Spielen und Kitzeln. Zudem sei die Kameraführung auf die Gesichter gerichtet.
12 Monate bedingt für Mutter
Für die Mutter spricht das Bezirksgericht eine bedingte Strafe aus: Unter Anrechnung der Untersuchungshaft von 66 Tagen kassiert sie eine Freiheitsstrafe von 12 Monaten als bedingter Strafvollzug mit einer Probezeit von zwei Jahren. Sie ist schuldig der Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht.
12 Jahre Freiheitsstrafe für den Vater
Der Vorsitzende Richter verliest das Urteil: Der Vater ist schuldig der versuchten vorsätzlichen Tötung, der versuchten schweren Körperverletzung, der mehrfachen, teilweise versuchten, qualifizierten einfachen Körperverletzung sowie der Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht. Als Sanktion kassiert er 12 Jahre Freiheitsstrafe.
Urteilsverkündung beginnt bald
Wie gross ist die Schuld der Eltern an den schweren Verletzungen und bleibenden Hirnschäden des einen Kindes? Wie viel hat die Mutter von der allfälligen Gewalt mitbekommen? Die Antworten auf diese Fragen sind entscheidend für die Richter. Die Staatsanwaltschaft fordert für den Vater 18 Jahre und 8 Monate Haft, für die Mutter 20 Monate bedingt. Die Verteidigerin fordert einen vollumfänglichen Freispruch für die Mutter. Ihr sei ausserdem eine Genugtuung von 40'000 Franken für die Zeit in Untersuchungshaft zu zahlen. Für den Vater sieht die Verteidigung einen Schuldspruch wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung und mehrfacher, fahrlässiger einfacher Körperverletzungen als angemessen. Die Geständnisse des Beschuldigten seien als strafmildernd anzusehen. Damit meint der Verteidiger die Rekonstruktionsvideos. Ausserdem bereue der Vater seine Taten.
Eine Strafe von 18 Monaten bedingt sei ausreichend, findet der Verteidiger.
Prozess beendet – Urteil folgt am Freitag
Nach den emotionalen Schlussworten der Beschuldigten beendet der Gerichtspräsident den Prozess. Das Urteil wird am Freitag um 15 Uhr verkündet.
Ein Kleinkind kommt bewusstlos ins Kantonsspital Baden AG. Ein Elternteil soll es dermassen fest geschüttelt und gegen eine Matratze gedrückt haben, dass die Ärzte es nun beatmen müssen. Das Kind überlebt. Doch als es aufwacht, ist es schwerstbehindert.
Im Spital fallen den Ärzten weitere Verletzungen auf, ein gebrochenes Schienbein, zum Beispiel. Die Eltern behaupten, das ältere Geschwister sei schuld. Die Verletzungen seien beim Spielen passiert. Eine Ermittlung wird eingeleitet, und bald stellt sich heraus: Die Misshandlung des Kleinkinds ist nur eine von mehreren Gräueltaten, die die Eltern begangen haben sollen.
Beide Elternteile angeklagt
Nur so viel ist bekannt über den Fall von mutmasslicher schwerer Kindesmisshandlung, den das Bezirksgericht Brugg AG ab Montag verhandelt. Die Medienstelle der Gerichte Aargau bestätigt einen entsprechenden Bericht von Tele M1 gegenüber Blick.
Angeklagt sind laut Gerichtsakten beide Elternteile. Der eine Elternteil soll das Kleinkind beinahe zu Tode geschüttelt und weitere Körperverletzungen begangen haben.
Vorwurf: älteres Kind sexuell misshandelt
Beiden Elternteilen werden zudem sexuelle Handlungen mit Kindern und Pornografie vorgeworfen. Davon sei das ältere Geschwister betroffen, teilt die Gerichtsmedienstelle auf Anfrage von Blick mit.
Die den Eltern vorgeworfenen Gräueltaten lassen sich aus der Liste der angeklagten Straftatbestände erahnen: versuchte vorsätzliche Tötung, versuchte schwere Körperverletzung, mehrfache, einfache Körperverletzung, Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht und die genannten Sexualdelikte im Fall des ersten Beschuldigten. Letztere zwei Punkte (Fürsorge und Erziehung sowie Sexualdelikte) betreffen auch den anderen beschuldigten Elternteil.
Annegret Lautenbach ist Co-Präsidentin des Vereins Kinderanwaltschaft Schweiz und hat schon zahlreiche Kinder in ähnlichen Prozessen vertreten. «Oft übernimmt ein Elternteil beim Missbrauch den Lead», erzählt die Anwältin Blick. «Der andere macht mit oder schaut zu, was ebenfalls bestraft werden kann.»
18 Jahre Haft gefordert
Im vorliegenden Fall fordert die Staatsanwaltschaft für den ersten beschuldigten Elternteil 18 Jahre Haft, für den zweiten lediglich 20 Monate bedingt. Die Verteidiger der zwei Angeklagten wollten sich auf Anfrage von Blick nicht zu den Vorwürfen äussern.
Relevant für den Ausgang des Prozesses wird sein, ob sich die Eltern gegenseitig schützen: «Wenn der Elternteil, der mitgemacht oder zugeschaut hat, auspackt, wird das oft als glaubwürdig gewertet. Weil den anderen zu beschuldigen gleichzeitig auch heisst, sich selbst zu belasten», so Lautenbach.
Gewalt in der Familie ist grundsätzlich aber schwierig nachzuweisen. Oft findet sie hinter verschlossenen Türen statt. Gegen die Eltern auszusagen, kann für ein Kind traumatisierend sein. Wenn es denn überhaupt alt genug ist, um zu beschreiben, was ihm widerfahren ist. Und so passieren viele Kindesmisshandlungen im Verborgenen.
Kind wegen Haft der Eltern traumatisiert
Im vorliegenden Fall kann das jüngere Kind wegen seines Alters und der schweren Behinderung nicht aussagen. Auch das ältere Kind werde am Prozess nicht befragt, heisst es in den Gerichtsunterlagen. Es sei durch die plötzliche Trennung von seinen Eltern schwer traumatisiert.
Annegret Lautenbach erlebt immer wieder, wie sehr Kinder unter einem Verfahren gegen die eigenen Eltern leiden. «Natürlich muss man ein Kind vor den Misshandlungen durch die Eltern schützen und diese bestrafen», betont die Anwältin. «Doch man darf nicht vergessen, dass die strafrechtliche Verurteilung der Eltern den meisten Kindern nichts bringt.»
Der Prozess gegen die Eltern startet am Montagmorgen um 8.15 Uhr vor dem Bezirksgericht Brugg AG und ist auf drei Tage angesetzt. Blick ist vor Ort und tickert live aus dem Gerichtssaal.