Todesdrama im Bahnhof Aarau – vier Mädchen erzählen
Betrunkener Stift wankte vor Intercity

Christian H. liegt am Perron, als ein Passagier ihn retten will. Dann läuft er auf die Gleise.
Publiziert: 09.01.2011 um 21:39 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 22:55 Uhr
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Von Ralph Donghi, Adrian Schulthess und Deborah Rast

Drei Kerzen stehen am Gleis 4 des Bahnhofs Aarau. Daneben ein Rosengesteck und ein Abschiedskärtchen. «So viel hatten wir noch zusammen vor», schreibt der Vater von Christian H.* (17) darin. «Wir vermissen Dich unendlich.»

Und weiter: «Wir wissen, dass Dich der Herrgott jetzt in seinen Händen hält. Du warst der Sinn unseres Lebens und wirst es immer bleiben. Wir lieben Dich von ganzem Herzen. Du bist das Wunderbarste, was uns das Leben gegeben hat.»

Die Eltern von Christian, sein Bruder und seine Freunde müssen am Sonntagmorgen Abschied nehmen. Begleitet von Betreuern besuchen sie gegen 9.30 Uhr den Unfallort. Die Mutter schreit ihren Schmerz in den Morgen hinaus.

Auch Hanna (16), Lara (16), Melissa (17) und Veronica (17) trauern gestern in Aarau um den Automech-Stift im ersten Lehrjahr. Um Chrigi, wie sie ihn nennen, den Hip-Hop-Fan aus Schinznach-Dorf AG, den Stürmer der ersten Mannschaft des FC Veltheim.

Sie treffen Chrigi am Samstagabend noch in Aarau an. «Wir zogen in der Stadt herum, er war gut drauf», sagen die Mädchen. «Er trank zwei oder drei Bier. Sturzbetrunken war er nicht», sagen sie. «Er wollte noch nach Zürich: Plötzlich war er weg.»

Um 23.20 Uhr steigen Paul E.* (23) und seine Freundin am Bahnhof Aarau aus. Am Perronrand liegt eine Gestalt, regungslos und gefährlich nahe am Gleis: Es ist Christian H.

Paul E. hilft dem Teenager auf die Beine. Doch der wankt davon, überquert zwei Schienenstränge und läuft schliesslich auf dem Gleis 4 Richtung Zürich.

Auf diesem Gleis rast der Intercity 798 heran, Zürich–Basel, ohne Halt in Aarau. Paul E. will Christian H. im letzten Moment von den Gleisen zerren, wird schwer verletzt. Seine Freundin steht unter Schock.

Auch Rachel R.* (16) wartet am Bahnhof, als das schreckliche Unglück passiert. «Ich hörte ein dumpfes Geräusch.» Christian H. hat keine Chance. Der Zug erfasst ihn frontal, schleift ihn mehrere Dutzend Meter mit. «Er war sofort tot», sagt Max Suter, Sprecher der Kantonspolizei Aargau. «Der Intercity fährt mit bis zu 140 Stundenkilometern durch den Bahnhof Aarau.»

Zu viel getrunken – oder K.o.-Tropfen erwischt?


Was hat Christian H. bloss zu seinem tödlichen Manöver getrieben? «Wir gehen davon aus, dass er betrunken war», sagt Polizeisprecher Suter. Chrigi sei kein Säufer gewesen, sagt sein Kollege Philipp Kläy (19): «Natürlich trank er manchmal zu viel. Wie wir alle. Aber er war einer der Vernünftigen. Er hörte auf, bevor er nicht mehr wusste, was er tat.»

Auch Christian H.’s Freundin Manuela hat eine Theorie. Sie gehen am Samstag getrennt aus, haben aber den ganzen Abend per Handy Kontakt. «Plötzlich meldete er sich nicht mehr», sagt Manuelas Mutter. «Jemand muss ihm K.o.-Tropfen ins Getränk geschüttet haben!»

Manuela nimmt gestern auf Facebook Abschied. «Ich werde dich immer und ewig lieben», schreibt sie.

* Namen bekannt

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