Staatsanwältin über Sexting-Täter Stefan M. (31)
«Ich hätte ihn schon gerne hinter Gittern gesehen»

Stefan M. (31), der minderjährige Mädchen im Internet zu Nackt-Fotos und Sex-Videos zwang, wurde gestern vor Gericht in Solothurn zwar verurteilt - doch ins Gefängnis muss er nicht. Lediglich in eine Therapie. Das wirft Fragen auf. Auch bei der zuständigen Staatsanwältin, die BLICK zum Interview traf.
Publiziert: 14.06.2017 um 17:21 Uhr
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Aktualisiert: 31.10.2018 um 16:57 Uhr
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Stefan M. (31, l.) mit seinem Anwalt auf dem Weg ins Gericht.
Foto: Peter Gerber
Interview und Foto: Ralph Donghi

BLICK: Frau von Arx, üblicherweise stehen Staatsanwälte nach dem Urteil für ein kurzes Statement zur Verfügung, ein längeres Interview ist eher selten. Warum haben Sie der Anfrage von BLICK dennoch zugesagt?
Kerstin von Arx (42), Staatsanwältin Kanton Solothurn: Ich finde, dass Sexting ein wichtiges gesellschaftliches Thema ist und nicht als Bagatelle abgestempelt werden sollte.

Denken Sie, dass dies getan wird?
Es gibt sicher Leute, die - wie beim aktuellen Fall M. - sagen, dass es ja «nur» übers Internet passiert sei. Dabei sind solche Drohungen massive Delikte und lassen Opfer oft traumatisiert zurück.

Warum fallen immer wieder Mädchen auf solche Typen rein?
Es fängt ja jeweils harmlos mit einem Chat, einem Kompliment an und steigert sich in vielen Fällen bis ins Unvorstellbare. Meist sind Mädchen die Opfer, die noch ein unbefangenes Weltbild haben und teils auch naiv sind. Man darf ihnen deshalb aber keinen Vorwurf machen.

Muss man nicht von einer grossen Dunkelziffer ausgehen?
Ja. Und die Dunkelziffer solcher virtuellen Übergriffe dürfte gross sein. Denn viele Betroffene machen aus Scham keine Anzeige, da sie ja meist selbst auf den Nackt-Bildern zu sehen sind. Und in einem Verfahren würden diese natürlich von vielen Beteiligten gesichtet werden - um die Sachverhalte zu klären.

Im Fall von M. hat die Mutter eines Opfers eine Anzeige eingereicht.
Das ist richtig. Opfer sollten sich an eine Vertrauensperson oder an die Polizei wenden, wenn jemand im Internet plötzlich Nacktfotos von einem verlangt.

Oder selbstgedrehte Sex-Videos, wie sie M. eingefordert hatte ...
Genau. Auch sollten Beweise für die Polizei sofort gesichert werden.

Bei M. konnten ganze Chat-Protokolle sichergestellt werden.
Ja.

Sie plädierten vor Gericht auf 3 Jahre Gefängnis unbedingt. Warum?
Laut Gutachten besteht bei ihm eine grosse Rückfallgefahr. Zudem war er wegen ähnlicher Delikte bereits vorbestraft und vor Gericht nicht wirklich einsichtig. Im Gegenteil, er wollte nichts zum Sachverhalt sagen.

Das Gericht folgte Ihren Anträgen. Es verurteilte M. jedoch zu 30 Monaten, wovon er die 12 Monate unbedingt nicht absitzen muss.
Diese 12 Monate Freiheitsstrafe wurden aufgeschoben zu Gunsten einer ambulanten Therapie.

Er wollte doch bisher nie in eine Therapie!
Aber jetzt muss er.

Sonst?
Sonst muss er vielleicht die Freiheitsstrafe absitzen gehen.

Denken Sie denn, dass er sich jetzt auf eine Therapie einlässt?
Es ist gemäss Gericht seine letzte Chance. Es wird sich zeigen, ob er sie packt.

Was heisst das konkret für M.?
Die Vollzugsbehörde wird über die Durchführung der Therapie entscheiden.

Sind das nicht zu viele Chancen? Immerhin geht es um Kinder, die einen massiven Eingriff in ihre sexuelle Integrität erlitten haben.
Dazu möchte ich nichts sagen. Das Gericht hat einfach eine günstigere Prognose für M. gesehen als ich es tat. Der Entscheid lag am Ende, wie immer, im Ermessen des Gerichts.

So ganz zufrieden scheinen Sie mit dem Urteil aber nicht zu sein?
Die Staatsanwaltschaft wird erst einmal die schriftliche Begründung abwarten und dann entscheiden, ob sie dieses erstinstanzliche Urteil anfechten wird.

Sie hätten M. aber schon gerne hinter Gittern gesehen?
Ja. Man hätte die Therapie auch vollzugsbegleitend anordnen können. Dann wäre jedenfalls gesichert, dass er nicht wieder virtuelle Übergriffe tätigt.

Sie haben vorhin Opfern Tipps gegeben. Haben Sie auch einen Tipp für Männer, die merken, dass sie zu virtuellen Tätern werden könnten?
Es gibt auch Frauen, die im Internet straffällig werden! Ihnen geht es aber meist nicht um die eigene Befriedigung. Sondern darum, ihren Opfer dann mit den erhaltenen Bildern oder Videos Geld abzuknöpfen. Dies nennt man dann Sextortion. Dort sind es ältere Frauen, die junge Männer im Netz umgarnen und sie dazu bringen, sich vor der Kamera auszuziehen.

Es gibt im Netz nichts, das es nicht gibt.
Das ist leider richtig.

Und der Tipp an mutmassliche virtuelle Täter/innen?
Auch sie sollten sich bei den ersten Anzeichen einer Straftat sofort Hilfe bei einer Vertrauensperson oder bei eine Fachstelle holen. Und zwar lieber zu früh als zu spät.

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