Erwin Maienfisch (56) sitzt am Küchentisch im Haus seiner Mutter Elisabeth (90) in Rüttenen SO. Vor ihm Dutzende Unterlagen und Papiere. Beim Anblick der Aktenberge wird der Vertriebsleiter immer noch sauer und sagt zu BLICK: «Die Gemeinde hat meine Mutter eiskalt abgezockt. Hätte ich nichts unternommen, wäre das einfach so weitergegangen.»
Grund für seinen Ärger: die Wegkostenpauschale der Spitex. Die hatte der Kanton Solothurn ab dem 1. Januar 2016 eingeführt. Für die Anfahrt der Spitex, die im Auftrag der Gemeinden tätig ist, werden den Patienten sechs Franken verrechnet – pro Tag. Auch im Fall von Elisabeth Maienfisch. Wenn die Spitex kam, wurden sechs Franken fällig. Nur: Die Seniorin bekam davon nichts mit.
Dem Sohn fallen die seltsamen Posten auf
Erst als ihr Sohn 2017 die Rechnungen seiner Mutter übernimmt, fällt ihm der seltsame Posten auf. Er hakt nach. Schnell wird klar: Nur im Kanton Solothurn gibt es eine Wegkostenpauschale. «Ich war fassungslos, als ich das gemerkt habe. Besonders, weil in allen anderen Kantonen die Wegkosten als Teil der Pflege gelten und dementsprechend übernommen werden.»
Maienfisch wendet sich an die Gemeinde Rüttenen, in der seine Mutter lebt. «Ich wollte, dass die Wegkosten übernommen werden, so wie in allen anderen Kantonen auch.» Doch sein Gesuch wird abgelehnt. Damit gibt sich Maienfisch nicht zufrieden und klagt – mit Erfolg. Das Versicherungsgericht urteilt: Die Wegkostenpauschale ist rechtswidrig.
Keine klare Regelung im Kanton Solothurn
Unfassbar: Bis zum Urteil gab es keine klare Regelung im Kanton. Nur eine Empfehlung. Und die lautete: Wegkosten sollten die Patienten übernehmen. Damit ist jetzt Schluss.
Kurz nach dem Urteil bekommt Elisabeth Maienfisch das Geld von der Gemeinde zurückerstattet – über 3000 Franken. «Bei der kleinen AHV-Rente eine stolze Summe. Die Spitex musste nicht mal oft zu meiner Mutter. Die Kosten dürften bei anderen Patienten also deutlich höher sein», so der Vertriebsleiter.
Eigentlich müssten jetzt auch andere Solothurner Spitex-Patienten das Geld zurückbekommen. Doch so einfach ist das nicht. Nur die Wegkostenpauschalen für das Jahr 2019 werden per sofort überwiesen. Den Rest gibt es nicht einfach so. Die Betroffenen müssen aktiv werden.
«Meine Mutter hätte das niemals machen können»
Heisst: Vorstellig werden, Belege mitbringen. «Eine Sauerei. Es geht hier um Spitex-Patienten. Die meisten sind alt und krank. Meine Mutter hätte das niemals machen können», so Maienfisch. Und er fragt sich: «Was passiert mit dem Geld, das nicht zurückverlangt wird? Es wurde ja rechtswidrig eingezogen.»
Der Kanton hat bisher keine Antwort parat. Auch nicht, wie viel Geld die Gemeinden insgesamt mit der Wegkostenpauschale kassierten. Eiligst wurde ein Krisentreffen einberufen. Dabei ging es um «die Rückabwicklung der eingezogenen Wegkosten und die Kostenübernahme durch die Gemeinden», so Sandro Müller, Abteilungsleiter im Amt für soziale Sicherheit Solothurn, auf BLICK-Anfrage.
Schnelle Lösung nicht in Sicht
Nur: Eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht. Es brauche Zeit, um eine Übersicht zu bekommen und die Gelder zurückzuzahlen, so Müller. Für Maienfisch ein weiterer Skandal. «Bis da Geld fliesst, sind einige Betroffene nicht mehr am Leben.»
Krankheit, Unfall oder Altersgebrechen: Nicht immer müssen Patienten im Spital behandelt werden. Oft ist auch eine ambulante Pflege in den eigenen vier Wänden möglich. Wenn Patienten von Pflegekräften zu Hause behandelt werden, spricht man von Spitex. Also Leistungen, die spitalextern erbracht werden. Diese können von Non-Profit-Organisationen (NPO) oder Privaten erbracht werden. Die NPO müssen alle Aufträge annehmen. Die privaten Organisationen können weniger lukrative Aufträge ablehnen. Beide werden von der Gemeinde und den Krankenkassen bezahlt . In der Schweiz mussten 2017 über 350'000 Personen die Spitex in Anspruch nehmen – Tendenz steigend! Waren es im Jahr 2008 211'000 Patienten, stieg die Zahl im Jahr 2012 bereits auf 251'000 Patienten. Konsequenz: Auch die Kosten steigen dementsprechend an.
Krankheit, Unfall oder Altersgebrechen: Nicht immer müssen Patienten im Spital behandelt werden. Oft ist auch eine ambulante Pflege in den eigenen vier Wänden möglich. Wenn Patienten von Pflegekräften zu Hause behandelt werden, spricht man von Spitex. Also Leistungen, die spitalextern erbracht werden. Diese können von Non-Profit-Organisationen (NPO) oder Privaten erbracht werden. Die NPO müssen alle Aufträge annehmen. Die privaten Organisationen können weniger lukrative Aufträge ablehnen. Beide werden von der Gemeinde und den Krankenkassen bezahlt . In der Schweiz mussten 2017 über 350'000 Personen die Spitex in Anspruch nehmen – Tendenz steigend! Waren es im Jahr 2008 211'000 Patienten, stieg die Zahl im Jahr 2012 bereits auf 251'000 Patienten. Konsequenz: Auch die Kosten steigen dementsprechend an.