«Solche Knochenbrüche könnten nicht aus Versehen stattfinden»
1:03
Zweiter Verhandlungstag:«Solche Knochenbrüche könnten nicht aus Versehen stattfinden»

So erlebt Blick-Reporterin Helena Graf die Angeklagten am Aargauer Kinderquäler-Prozess
Sind diese Eltern Monster – oder war alles ganz anders?

Prozess gegen Elternpaar nach Verletzungen an ihrem Baby. Vater spricht von Unfall, Anklage geht von Misshandlung aus. Gerichtsverfahren soll Klarheit bringen. Doch viele Fragen bleiben offen.
Publiziert: 06.05.2025 um 20:51 Uhr
|
Aktualisiert: 06.05.2025 um 21:43 Uhr
Foto: Philippe Rossier

Darum gehts

  • Eltern vor Gericht wegen Verdachts auf Kindesmisshandlung, Vater bestreitet Vorwürfe
  • Rechtsmediziner widerspricht Sturz-Theorie, vermutet Schütteltrauma als Ursache für Verletzungen
  • Kind erlitt zahlreiche Knochenbrüche, Eltern waren zwei Monate in Untersuchungshaft
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
RMS_Portrait_AUTOR_235.JPG
Helena GrafReporterin

Stell dir vor, du sitzt auf meinem Stuhl im Gerichtssaal. Links, von dir abgewandt, sitzen Fabian* und Eliane P.* – ein unauffälliges Elternpaar aus dem Mittelland. Vor zweieinhalb Jahren hat sich dieses Strafverfahren wie ein Schatten über ihren Alltag gelegt. Und das kurz nachdem sie akzeptieren mussten, dass ihr Baby für immer schwerstbehindert sein wird.

Die Eltern sehen sich als Opfer. Die Staatsanwaltschaft sieht sie als Täter. Zwei Versionen desselben Paars – zwischen denen ich hin und her schwanke. Welcher Version glaubst du?

Fabian P. präsentiert sich als liebevoller Familienvater. «Er war nie gewalttätig», erzählt Eliane P., die ihren Mann noch aus der Schulzeit kennt. «Ich habe gerne mit meinem Baby Zeit verbracht», ergänzt er.

Sturz oder Schütteln?

Die Misshandlungen, die ihm vorgeworfen würden, habe er nie gewollt. Er sei manchmal schlicht überfordert gewesen. Hier, vor Gericht, werde er als jemand dargestellt, der er gar nicht sei.

Oft bricht Fabian P. in Tränen aus, wenn er von seinen Kindern spricht. Die versuchte vorsätzliche Tötung, die ihm vorgeworfen wird, sei gar keine gewesen. Er sei halt gestürzt, mit dem Baby auf dem Arm. Von da kämen die Kopfverletzungen. Deshalb sei sein Kind nun schwerbehindert.

Der Rechtsmediziner widerspricht. Das Kind sei bei einer Schüttel-Bewegung verletzt worden. Den Sturz habe es vielleicht gegeben, aber er sei nicht ausschlaggebend gewesen. 

Zahlreiche Knochenbrüche

In einem privaten Gespräch mit seinem Vater hat der Beschuldigte auch zugegeben, dass er die Kopfverletzungen verursacht habe. Die Ermittler hatten ihn abgehört. Sein Vater riet ihm: «Schieb alles auf den Sturz.» Fabian P.s Aussagen – laut Staatsanwaltschaft Schutzbehauptungen.

Die Eltern schildern vor Gericht, wie sie erfahren haben, dass ihr Baby nicht nur Kopfverletzungen, sondern auch zahlreiche Brüche habe: an den Schienbeinen, Speichen, in Händen und Füssen, an den Rippen. «Ich habe völlig neben mir gestanden», sagt die Mutter. «Ich konnte es mir nicht erklären», so der Vater.

Eliane und Fabian P. kamen damals in Untersuchungshaft. Zwei Monate lang. Ihr älteres Kind habe während dieser Zeit schwer gelitten, erzählt die Mutter. Es sei traumatisiert.

Geständnis aus Verzweiflung

Im Gefängnis habe er versucht, sich die Verletzungen zu erklären, sagt Fabian P. Man habe ihm in Aussicht gestellt, er dürfe das Gefängnis verlassen, wenn er zugeben würde, wie die Brüche zustande kamen. «Ich habe Situationen beschrieben, die gar nie passiert sind», erklärt er vor Gericht.

Diese Situationen wird dir nun auf einem Bildschirm abgespielt. Fabian P. hat sie während der Haft nachgestellt. Du siehst, wie er die kleine Babypuppe mehrmals fest in eine Matratze drückt. Oder wie er sie am Nacken packt, den Oberkörper nach unten drückt.

Diese Videos, sagt die Staatsanwaltschaft, seien ein Geständnis. Fabian P. habe sein Baby gequält. Es habe unerträgliche Schmerzen spüren müssen. Die Knochen seien unter P.s gewalttätigen Bewegungen zerbrochen. Der Rechtsmediziner erklärt: «Das passiert nicht aus Versehen.»

Schuldzuweisung oder Erklärung?

Die Eltern finden eine andere Erklärung. Das ältere Geschwister sei sehr grob, habe das Baby «geboxt» und «geplagt». Fabian P. schickt Videos seines Kindes ans Gericht, die zeigen sollen, wie es mit dem jüngeren Geschwisterchen umgehe. 

«Schuldzuschreibung», findet die Staatsanwaltschaft. «Eine Möglichkeit», behaupten die Angeklagten.

Ist Fabian P. ein verzweifelter Vater, der für seine Unschuld kämpft? Oder einer, der um jeden Preis dem Gefängnis entgehen möchte?

Mit solchen Fragen verlasse ich das Gericht. Welche Fragen stellst du dir?

Die anwesenden Richter werden sich nun für Antworten entscheiden müssen. Am Freitag wollen sie dann ihr Urteil verkünden.

* Namen geändert

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?