Seit 60 Jahren verkaufen sie Fernseher
Wenn Streit droht, macht er einen Spaziergang

Hans und Marianne Würgler betreiben seit über 60 Jahren ein Radio- und TV-Geschäft in der Altstadt von Lenzburg AG. Eine herzerwärmende Geschichte über ein Leben ohne Ferien, ehrliche Diebe und das Geheimnis einer langen Ehe.
Publiziert: 20.01.2020 um 15:11 Uhr
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Aktualisiert: 04.02.2020 um 15:38 Uhr
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Marianne (84) und Hans Würgler (87) betreiben seit über 60 Jahren ein Radio- und TV-Geschäft in der Altstadt von Lenzburg AG.
Foto: EMANUEL FREUDIGER
Rolf Kromer

Hans Würgler (87) hat seit fünfzig Jahren keine Ferien mehr gemacht – aus zwei Gründen: Er schläft auswärts schlecht, und er liebt seine Arbeit, seinen Laden – und Ehefrau Marianne (84). Seit 63 Jahren wohnt er mit ihr oberhalb des Ladens an der Rathausgasse 8 in der Altstadt von Lenzburg. Hier haben sie ihre drei Kinder grossgezogen und ihren Lebensunterhalt mit dem Handel und der Installation von Radio- und Fernsehgeräten und Antennen verdient. Bis in die 80er-Jahre lief das Geschäft gut. Hans Würgler konnte eine Werkstatt mieten und reparierte mit zwei Festangestellten und zwei Teilzeitangestellten elektronische Geräte. Der Verkaufsladen an der Rathausgasse wurde in den Boom-Jahren am Samstag jeweils bereits um sieben Uhr am Morgen geöffnet. Doch diese Zeiten sind vorbei.

Es klingelt immer weniger

Seit der Eröffnung ist die Türe mit einer Klingel ausgestattet. Jeder Kunde löst die Klingel zweimal aus – wenn er den Laden betritt und wenn er ihn verlässt. Heute klingelt es nur noch ein paar Mal am Tag. Würglers vergleichen ihre Arbeit deshalb mit einem Hobby, eine Familie könnten sie damit heute nicht mehr ernähren. Nichtsdestotrotz ist das Geschäft auch heute noch von Dienstag bis Samstag offen – seit Jahrzehnten ohne Betriebsferien.

Der Rückgang hat in mehreren Etappen stattgefunden: Den ersten Einbruch erlebte das Ehepaar 1989, als die Altstadt verkehrsfrei wurde. Gespürt haben die Unternehmer auch, dass der Samstag schulfrei wurde und die Eltern mit den Kindern zum Einkaufen in weiter entfernte Einkaufszentren fuhren. Auch Discounter wie Media Markt wirkten sich aus. Den grössten Einfluss aber hat die Konkurrenz aus dem Internet.

Hans und Marianne Würgler sind trotzdem zufrieden mit dem, was ist. Sie denken nicht ans Aufhören. Solange es die Gesundheit zulässt, wollen sie weitermachen. «Das viele Treppensteigen hält uns fit», sagt Hans Würgler. Immer wenn es im Laden klingelt, müssen Würglers vom Büro im ersten Stock in den Laden im Parterre hinuntersteigen.

Elektrotechniker und Elektriker

Hans Würgler ist 1932 geboren. Er wächst in Niederlenz AG gleich neben Lenzburg auf. Sein Vater betreibt dort am Dorfrain ein Elektrofachgeschäft. Nach der Schule lernt er in Baden den Beruf des Radiomonteurs. Dann wird er per Abendstudium am Technikum in Zürich Elektrotechniker. Nach der Schule muss er um Mitternacht vom Bahnhof Wildegg nach Niederlenz laufen. Danach macht er auch noch eine Lehre als Elektriker.

1950 lernt Hans Würgler in der Badi Marianne kennen. Die damals 15-Jährige ist als Tochter eines Italieners im Aargau aufgewachsen. Ihr Italienisch wird sie später im Laden brauchen können: Gastarbeiter aus Italien sind über Jahre ein wichtiger Teil der Kundschaft. Vor allem wegen der Schallplatten italienischer Musiker, die im hinteren Teil des Ladens angeboten werden.

Perfekte Arbeitsteilung

Die Aufgaben im Geschäft teilen sich Hans und Marianne Würgler bis heute: Er kümmert sich um den technischen Service und berät Kunden beim Kauf von Fernsehern und Radios. Sie hält das Büro in Ordnung und verkauft im Laden alles ausser Fernseh- und Radiogeräten. Zudem ist sie für die Schaufensterdekoration zuständig. Viermal im Jahr gestaltet sie das Schaufenster um – besonders Mühe gibt sie sich jeweils mit der Jugendfest-Dekoration.

Marianne Würgler sagt, ihr Mann möge keine Veränderungen. Und so beginnt jeder Tag bei Würglers gleich: Hans Würgler bringt seiner Frau das Frühstück ans Bett. Und weil früher der Samstag der arbeitsintensivste Tag war, gingen sie kurz über Mittag ins immergleiche Restaurant Eichberg essen. Heute ist an den Samstagen nicht mehr so viel los. Trotzdem essen Würglers noch immer jeden Samstag dort. Überhaupt pflegen die beiden einen sehr liebevollen Umgang. «Wenn ein Streit droht, mach ich einfach einen ausgedehnten Spaziergang durch die Stadt», sagt Hans Würgler. Danach sei in der Regel alles wieder gut.

Als Diebe noch ehrlich waren

In den 60 Jahren wurde übrigens erst dreimal bei Elektro Würgler eingebrochen: Einmal klaute ein Dieb 700 Franken aus der Kasse, seither bewahren Würglers nur noch wenig Bargeld in der Kasse auf. Einmal schlug ein Einbrecher das Schaufenster ein und stahl einen teuren Walkman. Als Würglers den Vorfall der Polizei meldeten, war der Mann bereits gefasst. Er hatte sich selber ins Kantonsspital Aarau eingeliefert, weil er am Bein geblutet hatte. Beim letzten Mal stahl ein Teenager ein Radio. Wenige Stunden später brachte er ihn zusammen mit einem Entschuldigungsbrief zurück.

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