Puff im Knast - Wärter packt aus

Die Geschichte von Nina (14), die in den Knast geschmuggelt wurde — sie bewegt einen langjährigen Wärter, sein Schweigen über die Zustände im Schweizer Strafvollzug zu brechen.
Publiziert: 24.03.2009 um 08:24 Uhr
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Aktualisiert: 06.09.2018 um 21:04 Uhr
Von Thomas Ley

So hatte sich Ruedi K.* (heute 59) damals seine Arbeit nicht vorgestellt: «Gefängniswärter, das ist ein verantwortungsvoller Job», sagt er. Und blickt auf die Papiere vor sich auf dem Küchentisch. Es sind seine Entlassungspapiere. Am 1. Januar 1986 hatte er seine Arbeit als Wärter in der Strafanstalt Thorberg begonnen. Am 31. Dezember 2007 war sie zu Ende.

Ruedi K. ist verbittert: «Ich wurde gefeuert», sagt er. «Gefeuert, weil ich kritisch war. Weil ich über den Saustall auspacken wollte.»

Jetzt sei er arbeitslos. «Arbeit finde ich mit 59 doch keine mehr.» Die Enthüllungen von BLICK über den Solothurner Knast Schöngrün, in den auch viele Gefangene aus Thorberg wechseln, wühlen ihn auf. «Was dort abgeht: Handys, schicke Fernseher, Drogen – das fängt schon in den sogenannt harten Anstalten wie Thorberg an.»

Saloppe Disziplin, freche Insassen, überforderte Angestellte – das sei alles nicht auf Schöngrün beschränkt. Oder auf andere Übergangsgefängnisse, welche die harten Jungs auf die Entlassung vorbereiten sollen.

Und dann erzählt Ruedi K. von seinen Erfahrungen in Thorberg. Es ist die Geschichte einer Wärterschaft, die der Stress an ihre Grenzen bringt. «Was da im Thorberg in den letzten Jahren gelogen, gestohlen und betrogen wurde, kann sich niemand vorstellen.»

Es wurde gestohlen? «Ja, von Wärtern bei den Insassen. Von Insassen bei den Wärtern – und gegenseitig untereinander.»

Kein Wunder, dass Kriminelle stehlen, oder? «Ja, aber das Problem war, dass die Gefängnisleitung von den Problemen nichts wissen wollte.» Ruedi K. sei mit seinen Warnungen auf Granit gestossen. Lieber Ruhe und Ordnung als Untersuchungen. Ausserdem: Beim Diebstahl blieb es nicht. Abends saufen Wärter und Häftlinge.

«Wir Wärter waren oft mit den Nerven fertig. Viele von uns hatten immer wieder Ausraster.» Ausraster, welche die Aufseher offenbar im Glas ertränken mussten. «Solange ich dort war, hatten viele von uns ein Problem mit Alkohol», sagt der entlassene Wärter traurig.

«Am Abend gab man sich die Kante. Sass zusammen, trank und zog her über Kollegen und Insassen.» Die Knackis haben auch gesoffen: «Ja, klar.»

Und die Ausraster? «Vor einigen Jahren wollte einer der Kollegen mit der Waffe auf einen anderen losgehen. Ein anderer drohte damit, die Frau des Direktors zu überfahren.» Häftling hat Sex mit Arbeitsmeister.

Aber all das hatte bestimmt Disziplinarverfahren zur Folge, oder? «Nein. Lieber unter dem Deckel halten. Nur einmal wurde jemand wegen einer Kompetenzüberschreitung entlassen.» Und zwar einer der Arbeitsmeister in der Werkstätte. Er hatte sich mit einem Gefangenen auf regelmässigen Sex eingelassen. «Das merkte die Leitung allerdings erst nach Monaten», sagt Ruedi K. und schüttelt den Kopf.

Kein Wunder, hatte diese Wärterschaft nicht viel Autorität gegenüber den Gefangenen. Im Gegenteil: Mit den Insassen zogen manche Wärter einen munteren Tauschhandel von Videos auf. Harmlose – aber auch harte Pornos.
«Irgendwann wurde mir das alles zu viel», sagt Ruedi K. «Und ich begann, aufzumucken.» Es ging ihm wie vielen in seiner Situation: Seine Kritik wurde als «Meckerei» abgestempelt. «Ich kam mir gemobbt vor. Und reagierte bisweilen böse, stimmt.»

So böse, dass am Ende er versetzt wurde. Und nach 22 Jahren Dienst hatte seine Kritik tatsächlich eine Entlassung zur Folge: seine eigene. «Wegen Zerrüttung des Arbeitsverhältnisses».

Jetzt also sitzt er zu Hause und liest vom Skandal in Schöngrün (siehe Box). Er kann sich zwar nicht mehr persönlich an Franco C. erinnern – den Kriminellen, der seine eigene Tochter in den Knast schleust, sie unter Drogen setzt und wahrscheinlich mit anderen Knackis zusammenbringt.

Aber Ex-Wärter Ruedi K. weiss: Franco C. war einmal Häftling in Thorberg. «Und wenn ich zurückdenke, erstaunt es mich nicht, dass ihm nach seiner Zeit dort Gefängnisregeln egal waren.»

*Name von der Redaktion geändert.

Der Fall
Der Skandal im Bleichenberg, der Aussenstelle des Solothurner Gefängnisses Schöngrün: Gefangene, die kommen und gehen. Das jüngste Opfer der Missstände: Nina* (14). Sie wird von ihrem leiblichen Vater Franco C.** (37) in die Anstalt gelockt. Unter Drogen gesetzt, vielleicht sogar Knast-Kollegen für Sex zur Verfügung gestellt. Ninas verzweifelte Mutter und ihr Adoptivvater machen den Fall öffentlich – und BLICK bringt ans Licht: Drei der Insassen, darunter auch Franco C., besassen Schlüssel, mit denen sie die Anstalt im Geheimen sogar verlassen konnten. Folge: Handys, Elektronikgeräte, Freundinnen, Prostituierte, Drogen wurden hineingeschmuggelt. Und am Ende Nina, die psychisch labile Tochter von Franco C. Dessen Knast-Karriere begann vor fünf Jahren – im Berner Gefängnis Thorberg.
Doch auch dort sind die Zustände haarsträubend – wie jetzt ein Ex-Wärter enthüllt.

* Name geändert
** Name bekannt

Der Skandal im Bleichenberg, der Aussenstelle des Solothurner Gefängnisses Schöngrün: Gefangene, die kommen und gehen. Das jüngste Opfer der Missstände: Nina* (14). Sie wird von ihrem leiblichen Vater Franco C.** (37) in die Anstalt gelockt. Unter Drogen gesetzt, vielleicht sogar Knast-Kollegen für Sex zur Verfügung gestellt. Ninas verzweifelte Mutter und ihr Adoptivvater machen den Fall öffentlich – und BLICK bringt ans Licht: Drei der Insassen, darunter auch Franco C., besassen Schlüssel, mit denen sie die Anstalt im Geheimen sogar verlassen konnten. Folge: Handys, Elektronikgeräte, Freundinnen, Prostituierte, Drogen wurden hineingeschmuggelt. Und am Ende Nina, die psychisch labile Tochter von Franco C. Dessen Knast-Karriere begann vor fünf Jahren – im Berner Gefängnis Thorberg.
Doch auch dort sind die Zustände haarsträubend – wie jetzt ein Ex-Wärter enthüllt.

* Name geändert
** Name bekannt

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