Mord auf dem Dorf
Musste sie sterben, weil ihr Ehemann schwul wurde?

Der Mörder von Sisseln: Er führte ein Doppelleben. Keiner wusste, dass er schwul war. Auch seine Frau nicht. Bis zum Tag, als er sie erschoss.
Publiziert: 20.01.2009 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 02:05 Uhr
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Der Leichenwagen Die Särge für Paul W. und Ehefrau Heidi sind bereits im Haus.
Foto: RDB/Philippe Rossier
Von Anna Vonhoff und Martin Meier

Gespenstische Stille liegt über dem Aargauer Dorf Sisseln. Grabesstille. Hier hat Paul W.* am Wochenende seine Frau Heidi (58) erschossen. Und sich danach selbst gerichtet.

Sein Geheimnis nahm er mit ins Grab: Er war schwul. Unter dem Pseudonym «pawinch» war der 64-jährige Rentner im Internet unterwegs. Der Mann, der als Hobbys Autos und Sexualität angibt, sucht nach Männern. Auch kurz vor der Bluttat hatte er wieder Bande zu einem Verehrer geknüpft. Der den Kontakt abrupt beendete.

Ist Paul W.s Frau ihm zuletzt doch auf die Schliche gekommen? Wollte sie sein Doppelleben nicht mehr länger hinnehmen? Musste sie deshalb sterben?
«Ich hab die Polizeiabsperrung am Haus gesehen und mein erster Gedanke war gleich: Jetzt hat der Paul durchgedreht!» Das sagt eine Nachbarin.

Die Jahrgängerin von W. hat ihm schon lang nicht mehr über den Weg getraut, sagt sie. Er habe sich in den letzten Jahren immer mehr hinter den dicken Mauern seines Einfamilienhauses verschanzt.

«Die Eheleute hatten keine einfache Beziehung», weiss sie. Vor rund drei Jahren ist W. schliesslich ausgezogen. Aber von Kontakten zu Männern habe sie nichts mitbekommen.

Dann ist er wieder zurückgekommen. Zu Heidi. Ins geordnete Eigenheim. In die Bürgerlichkeit. Für die Enkel steht eine Schaukel im Garten, der Rasen ist gepflegt. Im Sommer wird auf der Terrasse gegrillt. Der Frührentner repariert für andere Computer, kauft im Volg das Essen ein. Und stöbert im Internet.

Währenddessen geht seine Frau Heidi (58) im benachbarten Laufenburg in einer Tankstelle arbeiten.
Dort will man sich nicht äussern. Der Schock sitzt tief. Das kann man in den Gesichtern der Kollegen ablesen.

Im Dorf, in den Vereinen, hat W. nie ein offenes Wort gescheut. Eine Freundin der Familie: «Er war ein ehrlicher Mensch.» Damit sei er in Sisseln angeeckt, habe sich Feinde gemacht, sagt sie.

Freimütig thematisierte er seine Alkoholsucht. Gab dazu sogar Interviews (im BLICK). Darin ein Geständnis: Zwar habe er seine Frau nie geschlagen, aber gemein sei er schon zu ihr gewesen.

In Sachen Sex kann er nicht so offen sein. Zu gross ist sein Geheimnis: Er mag auch Männer. In der Anonymität des Internets sucht er sie.

Er führt ein Doppelleben. Und kann dem Druck offenbar irgendwann nicht mehr standhalten. Zwei Menschen sterben. Einen Abschiedsbrief des Täters gibt es nicht. Und ein Dorf schweigt.

*Name der Redaktion bekannt.

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