Die Freundin. Die beiden Geschwister. Und zwei Freunde. Sie sitzen auf der Veranda des Hauses in Schinznach-Dorf AG, wo Christian H.* (17) lebte. Bis der Stift im Bahnhof Aarau laut der Polizei «betrunken» vor einen Intercity wankte und tödlich erfasst wurde.
«Wir wollen die Wahrheit erfahren», sagt Joel C.* (17). «Es kann nicht sein, dass Chrigi so besoffen war, dass er nicht mehr wusste, was er tat.» Auch Christians Bruder Sebastian (14) sagt: «Er wusste immer, wenn er genug getrunken hatte.» Und Chrigis Freundin Manuela W.* (18) ergänzt: «Er spielte Fussball und Basketball und hatte nicht einmal geraucht.»
Die Jugendlichen können sich nicht erklären, warum Christian H. die Gefahr auf den Gleisen in Kauf nahm. Sie wissen nur, dass er Samstagnachmittag bei Joel war. Gegen 18.30 Uhr sei Chrigi dann gegangen. Joel: «Er wollte heim und um 22 Uhr in Aarau bei Kollegen sein.»
Patricia H.* (44) bietet ihrem Sohn an, etwas zu kochen. «Er sagte mir, dass er schon gegessen habe und nur schnell duschen gehe», sagt sie und weint. «Chrigi liebte meinen Auberginen-Auflauf immer.»
Gegen 19 Uhr verabschiedet er sich von seiner Mutter und seinem Vater Werner H.* (46). Vor dem Haus trifft er seinen Bruder Sebastian: «Er sagte mir, ich solle auf mich aufpassen. Ich sagte Chrigi Danke, und dass er das auch tun solle.»
Christian H. nimmt den Bus und den Zug nach Aarau, trifft sich mit Kumpels in der Nähe des «Starbucks». «Das haben wir dann später erfahren», erzählt Joel. Was sich dort abgespielt hat, wissen die Freunde nur bruchstückhaft. «Wir haben nur gehört, dass er Wodka aus Kaffeebechern getrunken habe, aber nur zwei oder drei.»
Um zirka 22.15 Uhr erhält Joel einen Anruf von einer Kollegin. «Sie sagte mir, dass ich nach Aarau kommen solle, Chrigi sei von einer auf die andere Sekunde völlig anders geworden und abgehauen.» Zeugen wollen den Teenager gesehen haben, wie er wütend Richtung Bahnhof lief.
Joel: «Ich rief ihn kurz vor 22.30 Uhr an und fragte ihn, wo er sei. Er sprach ganz komisch, wirkte mega müde. Das war nicht Chrigi, wie ich ihn kannte.»
Als Joel beim Bahnhof Aarau ankommt, sucht er nach Chrigi. Erfolglos. Er ruft um 22.45 Uhr auf sein Handy an – und eine Kollegin nimmt ab. «Sie hatte es gefunden, nachdem Chrigi es einfach weggeworfen hatte. Wir fragen uns schon, warum er das tat», sagt Joel. Inzwischen seien sie sechs Leute gewesen. Die Gruppe hört um 23.20 Uhr sogar das Horn des Intercitys, der Christian H. erfasst.
Kurz darauf sieht Joel beim Bahnhof einen Krankenwagen. «Ich dachte nur: ‹Scheisse ...›»
Beim Gleis 4 stehen überall Polizisten – und ein Zug. «Da erfuhr ich, dass es um Chrigi ging.»
Gegen 2 Uhr klingeln zwei Polizisten, eine Polizistin und eine Psychologin bei Familie H. Vater Werner ist noch wach. An der Türe erfährt er vom Tod seines älteren Sohnes. «Er schrie so laut, dass ich im Bett wach wurde», sagt Sebastian. «Es ist so schlimm. Nie mehr werde ich mit meinem Bruder zusammensein können.»
Manuela W. ist in Zürich im Ausgang, als sie Chrigis Mutter erreicht. «Sie sagte mir, dass Chrigi gestorben sei. Ich brach fast zusammen.» Die 18-Jährige hat ihre grosse Liebe verloren. «Wir hätten noch in diesem Monat unser Einjähriges gefeiert und wollten bald ein Weekend nach London. Und jetzt das!»
«Chrigi schenkte immer allen ein Lachen», sagt sein Vater Werner H. «Wir wünschen dem Mann, der ihn noch retten wollte und sich dabei verletzte, alles, alles Gute.»
Werner H. weiss, dass sein Sohn «schon ab und zu» eines trank. «Doch er wusste immer, wann er nach Hause kommen sollte.» Christians Mutter hörte, dass er dem Helfer noch gesagt habe, er wolle nach Schinznach-Dorf. «Ein Betrunkener hätte das nicht mehr tun können.»
Die Familie und Freunde des Getöteten wollen Klarheit, was Chrigi wirklich im Blut hatte. Polizeisprecher Bernhard Graser gestern zu BLICK: «Die Ergebnisse des Instituts für Rechtsmedizin liegen noch nicht vor.»
* Namen der Redaktion bekannt