Der Gang zum Sozialamt ist schwer. Viele Bezüger schämen sich für die finanzielle Stütze vom Staat. Sie haben Angst, darüber zu sprechen – sehen ihren sozialen Ruf gefährdet. Deshalb ist die Identität der Empfänger bei den Gemeinden streng vertraulich. Einzig autorisierte Mitarbeiter haben Zugriff auf die Daten. Eigentlich.
Denn in Boswil AG gelangte nun eine Liste mit Sozialhilfeempfängern vom Februar 2018 an die Öffentlichkeit. BLICK liegen die Daten vor. Auf dem Blatt werden 28 Datensätze genannt. BLICK zählt nach und kommt auf 27 Einwohner, deren Name und ihr Alter genannt werden. 21 von ihnen erhalten aktuell Sozialhilfe.
Einer von ihnen: Andreas Schmid (43). Er ist über den Datenpfusch geschockt: «Es geht doch niemanden was an, dass ich Sozialhilfe beziehe. Ich mache aus meiner Not zwar kein Geheimnis, aber das geht nicht. Uns verlangt man alles ab. Aber dort wird versagt, das ist eine bodenlose Frechheit.»
Leiterin verschickte die pikante Liste
Sozialhilfeempfängerin M. S.* (53) machte den Vorfall publik. Sie erinnert sich: «Ich verlangte von den Sozialen Diensten der Gemeinde Boswil Informationen zu meinen Fall. Die Leiterin schickte mir daraufhin versehentlich die Daten anderer Empfänger!»
S. ist sauer: «Mir ging sofort durch den Kopf, wer die Liste wohl sonst noch erhalten hat. So etwas darf nicht passieren. Das zeigt mir, dass die Personen vom Amt überfordert sind.» Es scheine so, findet S., als wären die Sozialen Dienste Boswil ein Familienbetrieb.
Die Frau bezog ein Jahr Sozialhilfe und arbeitete dazwischen immer wieder temporär. Etwa im Callcenter und bei Coop als Geschenk-Einpackerin. Sie stellt klar: «Ich bin nicht faul. Trotzdem fühlte ich mich vom Sozialamt Boswil von oben herab behandelt.»
Angst unter den Bezügern
Bezüger P.* (28) landete nach einem Sportunfall in der Sozialhilfe, er lebt noch bei den Eltern. Er sagt: «Ich kann mich jetzt ja kaum mehr in den Volg wagen! Ich habe Angst, dass mich jemand nun einfach so Sozialschmarotzer nennt. Es ist für mich schon schlimm, dass ich zum Sozialamt muss.» Er fragt sich: «Wer weiss jetzt alles davon?»
Ebenfalls auf der Liste steht S.* (36): «Die Daten können in falsche Hände geraten. Es gibt genug Leute, die aggressiv gegen Sozialhilfebezüger vorgehen!» S. schildert seine Erlebnisse mit dem Amt: «Da ist der Wurm drin. Sie sollten mir eine Zahlung von der Krankenkasse überweisen, die ich vorgeschossen hatte. Doch die Zahlung ist immer noch nicht angekommen.» Er hat einen Verdacht: «Sie entschuldigten sich mit einem neuen Computersystem, das Probleme mache.»
Soziale Dienste: «Einmaliger Fehler!»
BLICK konfrontierte Beatrice Villiger, Leiterin der Abteilung Soziale Dienste, mit dem Datenleck. Der Sozialarbeiterin tut der Vorfall leid: «Uns ist bewusst, dass uns hier ein einmaliger Fehler unterlaufen ist, der so keinesfalls hätte passieren dürfen», schreibt sie in ihrer Stellungnahme. «Dafür entschuldigen wir uns aufrichtig.»
Man lege grossen Wert auf Datenschutz und Schweigepflicht. Deshalb seien die erforderlichen Massnahmen, einen weiteren solchen Fehler zu verhindern, bereits ergriffen und umgesetzt worden. Auf die Frage, ob die Personen auf der Liste über den sensiblen Datenumlauf informiert werden, ging die Gemeinde nicht ein.
Dabei hat der Kanton Aargau klare Vorschriften, wie sensible Personendaten per Mail versendet werden sollen. So müssen sie mindestens verschlüsselt werden, wie das Departement Finanzen und Ressourcen Informatik des Kantons Aargau in einem Merkblatt an die Mitarbeiter schreibt. «Der Versand von unverschlüsselten E-Mails kommt dem Versand von Postkarten gleich», heisst es darin. Zudem wären Mitarbeiter der Verwaltung verpflichtet, sensible Dokumente im Anhang etwa mittels Passwortschutz zu sichern. Beides ist bei der Gemeinde Boswil AG nicht gemacht worden.
Muss eine Gemeinde oder ein Unternehmen über ein Datenleck informieren?
Nein, grundsätzlich nicht. In gewissen Fällen ist es für Verantwortliche einer Gemeinde oder einer Firma aber besser, pro-aktiv zu informieren. Etwa dann, wenn Betroffene das Gefühl oder Anhaltspunkte haben, dass ihre Daten nach dem Leck missbraucht wurden. Andernfalls könnte die Institution, bei der die Daten verloren gingen, bei einem Gerichtsverfahren als mitverantwortlich bezeichnet werden, wie der Zürcher Datenschutz-Beauftragte Bruno Baeriswyl erklärt.
Wer weiss was über mich?
Das Datenschutzgesetz gibt jeder Person das Recht, bei einer Gemeinde oder einer Firma den Inhalt seines Dossiers einsehen zu können. Sie können diese Auskunft beispielsweise bei Ihrem Steueramt, bei der Bank, einer Krankenkasse oder gar bei einem Inkasso-Unternehmen einfordern. Darin steht, welche Angaben die Institution über Sie gesammelt hat.
Welche Daten werden gesammelt?
Je nach Institution können das höchst private Angaben sein. Besitzen Sie eine Treuekarte eines Lebensmittelladens? Dann wissen sie, welche Konfitüre und welches Parfum Sie einkaufen. Sie kaufen im Internet gerne ein? Inkasso-Firmen freuen sich darüber: Sie erfahren, ob Sie die Rechnungen pflichtbewusst bezahlen.
Kann ich eine versehentlich verschickte E-Mail zurückrufen?
Leider nicht. Gewisse Programme, wie zum Beispiel Microsoft Outlook, bieten jedoch an, ein E-Mail zu widerrufen. Andere E-Mail-Anbieter versenden ein E-Mail mit einer kurzen Verzögerung. So können Nutzer von Google Mail versehentlich verschickte Mails stoppen. (Interview: Petar Marjanovic)
Muss eine Gemeinde oder ein Unternehmen über ein Datenleck informieren?
Nein, grundsätzlich nicht. In gewissen Fällen ist es für Verantwortliche einer Gemeinde oder einer Firma aber besser, pro-aktiv zu informieren. Etwa dann, wenn Betroffene das Gefühl oder Anhaltspunkte haben, dass ihre Daten nach dem Leck missbraucht wurden. Andernfalls könnte die Institution, bei der die Daten verloren gingen, bei einem Gerichtsverfahren als mitverantwortlich bezeichnet werden, wie der Zürcher Datenschutz-Beauftragte Bruno Baeriswyl erklärt.
Wer weiss was über mich?
Das Datenschutzgesetz gibt jeder Person das Recht, bei einer Gemeinde oder einer Firma den Inhalt seines Dossiers einsehen zu können. Sie können diese Auskunft beispielsweise bei Ihrem Steueramt, bei der Bank, einer Krankenkasse oder gar bei einem Inkasso-Unternehmen einfordern. Darin steht, welche Angaben die Institution über Sie gesammelt hat.
Welche Daten werden gesammelt?
Je nach Institution können das höchst private Angaben sein. Besitzen Sie eine Treuekarte eines Lebensmittelladens? Dann wissen sie, welche Konfitüre und welches Parfum Sie einkaufen. Sie kaufen im Internet gerne ein? Inkasso-Firmen freuen sich darüber: Sie erfahren, ob Sie die Rechnungen pflichtbewusst bezahlen.
Kann ich eine versehentlich verschickte E-Mail zurückrufen?
Leider nicht. Gewisse Programme, wie zum Beispiel Microsoft Outlook, bieten jedoch an, ein E-Mail zu widerrufen. Andere E-Mail-Anbieter versenden ein E-Mail mit einer kurzen Verzögerung. So können Nutzer von Google Mail versehentlich verschickte Mails stoppen. (Interview: Petar Marjanovic)