Eine glückliche Familie. Mutter, Vater, vier Kinder. Doch seit einer Woche fehlt der Vater. Er ist nicht mehr nach Hause gekommen. Verschwand, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, ohne Lebenszeichen.
Ruth Staudenmann ist verzweifelt. Es fällt ihr schwer, die Tränen zurückzuhalten. «Wenn ich nur wüsste, was passiert ist», sagt sie. Markus Staudenmann verschwand am Mittwoch, 15. April. «Er wollte an die ETH Zürich», erklärt seine Frau. Der Professor für Verfahrenstechnik unterrichtet dort jeweils am Mittwochnachmittag für drei Stunden. Er fährt immer mit dem Velo von Windisch zum Bahnhof Brugg, nimmt dann den Zug nach Zürich.
Ruth Staudenmann verlässt das Haus in Windisch an diesem Tag vor ihm. Sie fährt in die französische Schweiz. Sie unterhält sich noch kurz mit ihrem Mann, alles ist wie immer. Normal. «Er sagte mir noch, dass er ungefähr um 19.30 Uhr heimkommt, allenfalls später.»
Als sie jedoch kurz vor 20 Uhr zurückkehrt, ist Markus Staudenmann noch immer nicht da. Er reagiert auch nicht auf ihre SMS, sowenig wie auf Anrufe.
Kein Unterricht
Nach Mitternacht alarmiert Ruth Staudenmann die Polizei. Dann fährt sie an den Bahnhof nach Brugg. Dort findet sie das abgestellte Velo ihres Mannes noch an seinem Platz.
Auch die Ermittler spüren den Professor nicht auf. Der einzige Hinweis: ein Telefonanruf. Markus Staudenmann telefonierte um 17.11 Uhr vom Hauptbahnhof Zürich mit einer Kollegin. Auch ihr erzählt er, dass er etwa um halb acht Uhr zu Hause sein will.
Unklar ist, ob Markus Staudenmann je an der ETH angekommen ist. Denn der Unterricht fand wegen der Ferien gar nicht statt. Hat der Professor vom Unterrichtsausfall nichts gewusst? Oder nutzte er die freien Stunden, um sich abzusetzen? Lief er einfach davon?
Ohne Pass, ohne Geld
Ruth Staudenmann macht sich grosse Sorgen um ihren Mann. «Er ist so zuverlässig. Fröhlich. Ein liebevoller Vater.»
Die Hausfrau grübelt. Was ist passiert? «Es gibt im Prinzip drei Möglichkeiten: Er könnte willentlich untergetaucht, einem Verbrechen zum Opfer gefallen sein oder Suizid begangen haben», erklärt sie.
Es falle ihr schwer, sich irgendetwas davon vorzustellen. «Es gab keinerlei Hinweise auf Selbstmord. Das sagen auch all unsere Freunde und Verwandten.» Auch dass er das Verschwinden geplant hat, ist in Ruth Staudenmanns Augen unglaublich. Die Familie war glücklich. «Er hat auch nichts mitgenommen und seither nie mehr Geld von unserem Konto abgehoben», erklärt sie.
Zwar sei es möglich, dass er mehrere Hundert Franken bei sich trug, aber den Pass habe er zu Hause gelassen. «Und er ist ohne Jacke gegangen.»
Die Ehefrau glaubt an ein Gewaltverbrechen. «Aber warum hat davon niemand etwas bemerkt?», fragt sie hilflos. Die Aargauer Kantonspolizei andererseits hält diese Möglichkeit für unwahrscheinlich. «Es gibt keinerlei Hinweise dafür», sagt ihr Sprecher Rudolf Woodtli. «Wir bitten Zeugen, sich dringend bei uns zu melden.»
Die vier Kinder des Ehepaars im Alter zwischen 8 und 15 Jahren bekommen die Sorge um ihren Vater mit. «Sie verkraften es ganz gut, doch das wird Langzeitfolgen haben», sagt die Mutter. «Wir beten und hoffen auf seine Rückkehr.»
Die Polizei sucht in der ganzen Schweiz nach dem 1,85 Meter grossen ETH-Dozenten mit dem auffälligen Muttermal an der Oberlippe.