Die schreckliche Tat hatte die ganze Schweiz erschüttert. Nachbarn fanden Hildegard Enz Rivola (†66) am 17. Januar 2019 blutüberströmt vor ihrem Hauseingang in Aarau. Die Schweizerin hatte etliche Stichverletzungen und starb später im Spital.
Es begannen intensive Ermittlungen. Mit Erfolg: Gut einen Monat später nahm die Kantonspolizei Aargau einen Verdächtigen fest. Wie BLICK damals aufdeckte, handelt es sich um den Kroaten Davor J.* (28) aus Unterentfelden AG.
Heute fand vor dem Bezirksgericht Aarau der Prozess gegen den Beschuldigten statt. Das Gericht sprach schliesslich das Urteil kurz nach 18.45 Uhr aus. Davor J. ist schuldunfähig! Für den Kroaten wird eine stationäre therapeutische Massnahme angeordnet.
«Ich bereue die Tat»
Kurz vor 13 Uhr wurde Davor J. in Handschellen von der Polizei ins Gericht geführt. Er ist gross, trägt einen dunklen Anzug und beantwortet auf dem Weg dahin Fragen von Medienvertretern. «Ich bereue die Tat und will eine psychiatrische Behandlung», sagt er.
Vor Gericht spricht zuerst die Gutachterin. Sie erzählt, wie schwierig es war, den Beschuldigten zu befragen. «Er hat bei der Tat die Realität anders wahrgenommen und in einem Wahn gehandelt», sagt sie. Zum Tatzeitpunkt sei J. davon überzeugt gewesen, dass er das tun müsse. Dass jemand als schuldunfähig gilt, sei eine Ausnahme. Sie glaubt aus ihrer Erfahrung aber, dass J. behandelbar ist – es könne jedoch fünf bis acht Jahre dauern.
Der Anwalt der Hinterbliebenen hat Zweifel am Gutachten und an der Schuldunfähigkeit des Beschuldigten. Vor Gericht spricht auch der Ehemann, der vom Opfer getrennt lebte: «Ich habe heute Zweifel am Rechtssystem und seit der Tat habe ich Herzprobleme.» Es habe alles eine bittere Spur hinterlassen, er müsse häufig weinen. Auch die beiden Söhne von Hildegard Enz Rivola sprechen vor Gericht von Wut, Verzweiflung und auch von Hass – auf den Täter und auf das Rechtssystem.
«Ich war im Alkoholrausch»
Nach einer kurzen Pause im Gerichtssaal spricht J. von seiner Sicht der Dinge: «Ich erinnere mich nur daran, dass ich geklingelt und dann zugestochen habe», sagt er. So wie in der Anklage beschrieben, sind es mindestens 30 Stiche gewesen. Daran kann sich der Angeklagte aber nicht erinnern. «Ich war dabei im Alkoholrausch und hatte zudem Kokain konsumiert», sagt er. Vor Gericht sagt der Beschuldigte, er sei vor der Tat schon zwei Mal in der Psychiatrie gewesen, weil er kokainabhängig sei.
Die Staatsanwältin sagt unter anderem, der Beschuldigte habe ausgesagt, Stimmen zu hören. Und: «Er hatte sich schon zu Hause entschlossen, Hildegard Enz Rivola zu töten.» Vor Ort habe er ihr keine Zeit für irgendeine Reaktion gelassen, er ging sofort auf sie los. «Das Opfer hatte noch versucht, die Stiche abzuwehren», sagt die Staatsanwältin. Die Tat sei als skrupellos zu qualifizieren. Sie fordert für Davor J. eine stationäre therapeutische Massnahme in einer geschlossenen Anstalt. Ohne diese Behandlung bestehe ein hohes Risiko, dass J. erneut Gewaltstraftaten begehen könnte. Zudem soll er für 15 Jahre des Landes verwiesen werden.
Dann spricht nochmals der Anwalt der Hinterbliebenen: «Hildegard Enz Rivola musste qualvoll sterben», sagt er. «Davor J. hat im Blutrausch getötet.» Er sei voll schuldfähig, so der Anwalt. Er beschwert sich auch darüber, dass im Vorfeld der Verhandlung ein Antrag auf ein neues Gutachten vom Gericht abgelehnt wurde. Dies obwohl alles darin alleine auf die unglaubwürdigen Aussagen des Beschuldigten basieren würde.
Danach folgt das Plädoyer des Verteidigers. Wie die Staatsanwältin fordert er für seinen Klienten eine stationäre Massnahme, spricht sich aber gegen einen Landesverweis aus. «Er wurde hier geboren und ist hier verwurzelt – nicht in Kroatien», sagt sein Anwalt. Das Schlusswort vor Gericht hat der Angeklagte. «Es tut mir leid, dass es soweit gekommen ist.»
Laut Gutachten ist er schuldunfähig
Bereits Anfang Dezember 2019 hatte die Aargauer Staatsanwaltschaft nähere Informationen zur Tat und zum Täter veröffentlicht. Etwa, dass bei Davor J. die Tatwaffe gefunden wurde – und er ein Geständnis abgelegt hatte. Unfassbar: Mindestens 30 Mal soll er auf den Oberkörper und mehrmals in die Arme sowie in die Beine der 66-Jährigen eingestochen haben. Auch als sie am Boden lag, stach er weiter auf sie ein. Rivola starb aufgrund des grossen Blutverlustes kurz vor 20 Uhr im Spital.
Davor J. fuhr nach der Tat mit dem Bus und dem Zug nach Hause. Zwischen ihm und der Rentnerin soll keine persönliche Beziehung bestanden haben. Dass sie alleine wohnte, wusste er, weil er 2015 als Sanitär bei ihr gearbeitet hatte. Laut Anklageschrift hatte er das Victorinox-Klappmesser noch am gleichen Tag zuhause geschliffen.
Kein Landesverweis, keine Genugtuungszahlung an die Angehörigen
Mutmassliches Motiv der Bluttat: Davor J. hätte nur noch einen Monat in seinem Zimmer an seinem damaligen Wohnort bleiben dürfen und hatte deshalb vor, nach dem Tod des Opfers in dessen Wohnung einzuziehen. Nach der Verhaftung wurde das psychiatrische Gutachten in Auftrag gegeben. Resultat: Bei ihm wurde eine paranoide Schizophrenie und ein schädlicher Gebrauch von Alkohol und Kokain diagnostiziert. Aus forensisch-psychiatrischer Sicht war seine Einsichtsfähigkeit zum Tatzeitpunkt aufgehoben - deshalb die Schuldunfähigkeit vor Gericht.
Das Gericht entschied wegen der Schuldunfähigkeit von Davor J. zudem, dass er nicht des Landes verwiesen wird. Es sei in der Schweiz geboren und verwurzelt. Zudem muss der Verurteilte auch keine Genugtuung an die Angehörigen der Getöteten zahlen. Ebenfalls, weil er schuldunfähig und mittellos sei.
Die Angehörigen von Hildegard Enz Rivola verliessen das Gerichtsgebäude spät abends fassunglos.
* Name geändert