BLICK begleitete die Polizei zum gefährlichen Ländiweg in Olten SO und sprach mit Bürgern
159 Polizeieinsätze in den letzten 16 Monaten!

Wer mit dem Zug in Olten SO ankommt und zu Fuss über die alte Brücke in die Stadt will, der kommt fast nicht daran vorbei: am Ländiweg. Doch dort ist vor allem bei schönem Wetter so viel los, dass oft die Polizei ausrücken muss. Letztes Jahr 108 Mal. Und dieses Jahr bis Ende April bereits wieder 51 Mal. Was ist am Ländiweg nur los?
Publiziert: 18.05.2017 um 19:50 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 01:21 Uhr
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Vorbesprechung: Einsatzleiter Raphael Giaccari (43, 2. v. r.) bespricht mit drei Kollegen von der Kantonspolizei Solothurn die anstehende Personenkontrolle am Ländiweg in Olten.
Foto: Stefan Bohrer
Ralph Donghi (Text) und Stefan Bohrer (Fotos)

Der Ländiweg an der Aare zwischen dem Bahnhof und der alten Brücke in Olten SO – er ist vor allem bei schönem Wetter ein beliebter Treffpunkt verschiedenster Gruppierungen. Dass seit Jahren ab und zu die Polizei aufkreuzt und für Ruhe und Ordnung sorgt, ist für ein Flussufer in der Schweiz nicht unüblich.

Nur: Eine Zahl schreckt seit kurzem auf. Die Polizei musste im letzten Jahr 108 Mal an den Ländiweg ausrücken – und in diesem Jahr waren es bis Ende April bereits wieder 51 Einsätze! Dutzende von Bussen wurden verteilt, gegen ein Dutzend Personen wurde gar ein Rayonverbot ausgesprochen. Täglich und zu unterschiedlichsten Zeiten ist die Polizei inzwischen am Ländiweg präsent.

BLICK war vor Ort

Doch warum ist die Situation dort so prekär? BLICK war diese Woche bei einer Kontrolle am Ländiweg dabei. Und tatsächlich: Schon einer der ersten Männer, die von den vier Kantonspolizisten kontrolliert werden, dürfte sich hier gar nicht aufhalten. Jetzt muss er mit einer Anzeige rechnen. «Wir hatten nur Musik gehört», sagt Sacha R.* (46) aus Olten später zu BLICK. Und wettert: «Die Bullen können mir so viele Bussen und Anzeigen geben, wie sie wollen, ich komme trotzdem immer wieder hierher!»

Andreas Mock, Sprecher der Kantonspolizei Solothurn, sagt zu den bisherigen Einsätzen: «Bei den festgestellten Delikten handelt es sich in erster Linie um Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz, konkret Besitz von oder Handel mit Drogen.» Aber auch unanständiges Benehmen in der Öffentlichkeit, Littering, Missachtung der Leinenpflicht für Hunde und Verstösse gegen amtliche Auflagen werden geahndet.

Sind betrunkene Asylbewerber die Übeltäter?

Auch die BLICK-Reporter erleben, wie zwei Hunde von der Leine gelassen werden und mit Cannabis gedealt wird – aber erst, als die vier Kantonspolizisten abgezogen sind.

Naomi Jäggi (20) aus Trimbach SO hat schon eine 80-Franken-Busse erhalten, weil sie ihren Hund Dingo (3) nicht an der Leine führte. Sie verlangt, dass man die richtigen Leute härter anpackt.
Foto: Stefan Bohrer

«Ich habe auch schon eine Busse erhalten, weil ich meinen bald dreijährigen Hund Dingo nicht an der Leine hielt», sagt Naomi Jäggi (20) aus Trimbach SO. «Ich musste 80 Franken bezahlen. Völlig übertrieben. Die würden besser die richtigen Leute härter anpacken!» Ein Freund schreit heraus, was viele nur hinter vorgehaltener Hand sagen: «Es sind die Asylbewerber, die besoffen Probleme machen!» 

Die Äthiopier Abdullatif Ibrahim (18) und Abduljawad Yune (23), beide aus Härkingen SO, wehren sich gegen diesen Vorwurf: «Wir jedenfalls trinken keinen Alkohol und geniessen hier nur die Sonne.» Sie dürfen hier sein. Aber: Bei früheren Einsätzen wurden am Ländiweg auch schon Ausländer oder Asylbewerber angetroffen, die sich dort nicht aufhalten dürfen. «Wir treffen auch Ausländer und Schweizer, die landesweit gesucht werden», sagt Polizeisprecher Mock. «Oft geht es hierbei um Aufenthaltsnachforschung oder Umwandlungshaft, weil Bussen oder Geldstrafen nicht bezahlt wurden.»

Frau sexuell bedrängt und Mann ausgeraubt

Der traurige Höhepunkt: Ende März wurde eine Frau gegen 23 Uhr auf dem Ländiweg sexuell bedrängt – sie kam mit leichten Verletzungen davon. Und Ende April wurde ein Mann von zwei Unbekannten gar am helllichten Tag, an einem Sonntagmorgen, in den Würgegriff genommen und ausgeraubt. In beiden Fällen sind die Täter flüchtig.

«Ich habe am Abend Angst, hier durchzulaufen», sagt Susi Schmid (68) aus Dulliken SO. Und ihr Mann Peter (76) findet: «Die Polizei dürfte hier ruhig noch mehr Kontrollen machen.»

Laut BLICK-Recherchen wurden in den letzten Monaten noch weitere Passanten am engen Ländiweg bedrängt, belästigt, angepöbelt oder ihnen wurde der Weg versperrt. Meist erstatten die Betroffenen aus Angst jedoch keine Anzeige. Manchmal kann auch die ausgerückte Polizei nur wenig tun. Mock: «Wir können Personen wegweisen, wenn diese zum Beispiel Passanten belästigen oder sie daran hindern, den öffentlichen Raum ebenfalls zu benutzen.» Das Vorgehen müsse aber dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit entsprechen.

Oft ist Alkohol im Spiel

Reklamationen gab es bei der Polizei aber auch wegen lauter Musik, die über die Aare bis auf die andere Flussseite zu hören war. Und die Polizei rückt auch schon aus, weil sich die verschiedenen Gruppierungen untereinander in die Haare gerieten. «Bei den Provokationen ist oft auch Alkohol im Spiel», bestätigt Mock.

Doch nicht alle fühlen sich auf dem Ländiweg unsicher. «Ich wusste gar nicht, dass es hier gefährlich ist», sagt etwa Valmira R.* (32) aus Bellach SO.

Warum hat sich die Situation am Brennpunkt Ländiweg, wie ihn die Polizei inzwischen nennt, in den letzten Monaten derart verschlimmert? «Ein Punkt ist sicherlich, dass sich die räumliche Nutzung verändert hat», erklärt Mock. «Was früher vor allem ein Verbindungsweg vom Bahnhof in die Stadt war, ist seit langem auch Treffpunkt unterschiedlicher sozialer Schichten und weiterhin Verbindungsweg.»

Diese Nutzung des öffentlichen Raums könne – je nach Wahrnehmung – das Sicherheitsgefühl beeinträchtigen. «Das Problem ist vielschichtig und lässt sich allein mit polizeilichen Mitteln nicht nachhaltig lösen», so Mock. Und er ergänzt: «Die polizeilichen Massnahmen sind weitgehend ausgeschöpft. Für eine nachhaltige Entschärfung des Brennpunkts Ländiweg müssten generell bauliche Massnahmen eingeleitet und umgesetzt werden.»

Anstatt Rasen eine Sitzgelegenheit gewünscht

Janik Scheub (24) und Mark Linder (30), beide aus Olten, werden konkret und wünschen sich, «dass die Stadt endlich etwas tut und den Rasen über dem Weg in eine richtige Sitzgelegenheit umbaut. Dann würde hier sicher weniger passieren!»

Mark Linder (30) aus Olten wünscht sich anstatt Rasen bessere Sitzgelegenheiten entlang des engen Ländiwegs.
Foto: Stefan Bohrer

Davon sind auch Marcela Sampaio (19) aus Kappel SO und Larissa von Allmen (18) aus Hägendorf SO überzeugt: «Das Problem sind nicht die, die hier friedlich rumhängen und vielleicht mal eins kiffen wollen!»

Marcela Sampaio (19) aus Kappel SO und Larissa von Allmen (18) aus Hägendorf SO haben nichts gegen die Leute, die am Ländiweg rumhängen.
Foto: Stefan Bohrer

Damit ist klar: Laut Polizei und Bürger ist jetzt die Stadt Olten gefordert. Die kennt zwar das Problem und hatte am Ländiweg sogar schon das Projekt Andaare geplant. Aber: Es konnte aus finanziellen Gründen nicht umgesetzt werden. Wie geht es nun weiter?

Der Oltner Stadtpräsident Martin Wey nimmt im BLICK Stellung zum Ländiweg.
Foto: ZVG

Der Oltner Stadtpräsident Martin Wey verweist auf die aktuellen Polizeikontrollen mit hoher Frequenz: «Eine Arbeitsgruppe sucht zudem im Auftrag des Stadtrats nach weiteren möglichen Massnahmen.»

Kosten und Nutzen müssen gegenübergestellt werden

Als Alternativverbindung erwähnt Wey die Bahnhofbrücke und das Trottoir am Bahnhofquai. Zudem gibt es das Projekt «Neuer Bahnhofplatz Olten», das eine umfangreiche treppenartige Abstufung zur Aare hin im Bereich Bahnhofterrasse und eine zusätzliche Aarequerung für den Fuss- und Veloverkehr vorsieht. «Die Umsetzung findet aber erst nach 2020 statt», so Wey. Und: «Der Ländiweg hingegen würde gleich bleiben, da der darunter liegende Abwasserkanal noch eine lange Lebensdauer hat. Für bauliche Massnahmen in der Zwischenzeit müssen Kosten und Nutzen einander gegenübergestellt werden.» Zudem werde, so der Stadtpräsident, voraussichtlich im kommenden Jahr die darüberliegende Kantonsstrasse saniert, «was auch das Bord über dem Ländiweg tangiert».

Von Ruhe am Ländiweg also noch keine Spur – so oder so.

* Namen der Redaktion bekannt

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