«Solche Knochenbrüche könnten nicht aus Versehen stattfinden»
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Zweiter Verhandlungstag:«Solche Knochenbrüche könnten nicht aus Versehen stattfinden»

Versuchte Tötung, sexuelle Handlungen – heftige Vorwürfe gegen Aargauer Eltern
«Noch nie von der Unschuld einer Klientin so überzeugt»

Schwere Vorwürfe gegen ein Aargauer Elternpaar: Neben versuchter Tötung und Körperverletzung an einem Kleinkind werden ihnen auch sexuelle Übergriffe beim älteren Kind vorgeworfen. Am Dienstag geht es mit dem zweiten Verhandlungstag weiter. Blick ist wieder vor Ort.
Publiziert: 06.05.2025 um 07:40 Uhr
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Aktualisiert: 06.05.2025 um 19:04 Uhr
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Der angeklagte Vater betritt heute Morgen das Brugger Gerichtsgebäude.
Foto: Philippe Rossier

Darum gehts

  • Elternteil soll Kleinkind geschüttelt haben. Nun ist es schwerstbehindert
  • Sexuelle Handlungen mit Kindern und Pornografie werden beiden Eltern vorgeworfen
  • Staatsanwaltschaft fordert für einen Beschuldigten 18 Jahre Haft, für anderen 20 Monate bedingt
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Helena GrafReporterin
06.05.2025, 17:50 Uhr

Prozess beendet – Urteil folgt am Freitag

Nach den emotionalen Schlussworten der Beschuldigten beendet der Gerichtspräsident den Prozess. Das Urteil wird am Freitag um 15 Uhr verkündet.

06.05.2025, 17:48 Uhr

«Irgendwann ist auch meine Kraft am Ende»

Auch Eliane P. darf sich zum Schluss der Verhandlung äussern. «Ich bin eine starke Frau», sagt sie. «Aber irgendwann ist auch meine Kraft am Ende.»

Sie wünsche sich, wieder die glückliche Mutter zu werden, die sie einst gewesen sei.

06.05.2025, 17:46 Uhr

Fabian P. zeigt Reue: «Ich habe einen Scheiss gemacht»

Der Gerichtspräsident gibt dem beschuldigten Vater das letzte Wort. «Ich wollte nie meinem älteren Kind die Schuld zuweisen. Ich habe kein Selbstmitleid. Ich habe monatelang recherchiert, für mein kleines Kind. Meine Kinder sind alles, mein ganzes Leben dreht sich um sie», beteuert Fabian P., beginnt zu weinen. «Es frisst mich auf! Ich weiss, dass ich einen Scheiss gemacht habe. Ich habe meinem Kind das Geschwister genommen. Meiner Frau die Familie. Aber ich wollte das nicht!»

06.05.2025, 17:15 Uhr

Verteidigerin fordert 40'000 Franken Genugtuung

Die Verteidigerin fordert entsprechend einen vollumfänglichen Freispruch. Ihr sei ausserdem eine Genugtuung von 40'000 Franken für die Zeit in Untersuchungshaft zu zahlen. 

06.05.2025, 16:57 Uhr

«Sie hatte keinerlei sexuelle Gedanken»

Die Vorwürfe der sexuellen Handlungen mit Minderjährigen und Pornografie streitet die Verteidigerin ab. «Meine Mandantin hatte keinerlei sexuelle Gedanken», sagt sie.

Ihre Klientin sei demnach auch von den Sexualdelikten freizusprechen.

06.05.2025, 16:48 Uhr

Scharfe Kritik an Staatsanwaltschaft

Es geht um die Schuldzuweisungen, die Eliane P. heute vor Gericht wiederholte. Nämlich, dass das ältere Kind an den Knochenbrüchen schuld sein könnte. 

Die Staatsanwaltschaft argumentiert, das Kind sei deshalb in seiner Entwicklung behindert worden. «Das macht mich hässig», sagt die Verteidigerin. Sei es doch das Vorgehen der Staatsanwaltschaft gewesen, die das Kind traumatisiert hatte. «Meine Mandantin wurde zwei Monate lang eingesperrt, ohne eine einzige Befragung. Ihr Kind dachte, seine Eltern seien tot.»

Eliane P. sei eine warme Mutter, ein Familienmensch. «Die einzige seelische Beeinträchtigung des älteren Geschwisters hat die Staatsanwaltschaft verursacht!», betont die Anwältin der Mutter. 

Das Gericht solle ihre Mandantin in Bezug auf Verletzung der Fürsorgepflicht freisprechen.

06.05.2025, 16:35 Uhr

Kinderarzt entlastet Mutter

Das Weinen eines Kindes könne ganz unterschiedliche Gründe haben, betont die Verteidigerin. «Die Hebamme hat meine Mandantin als sichere Mutter bezeichnet.»

Die regulären Kontrollen beim Kinderarzt hätten stattgefunden. «Dieser lobte gar die Entwicklung des Babys», erzählt die Verteidigerin. Der Arzt habe keinen Verdacht geschöpft, dass mit dem Kind etwas nicht stimme. 

Auch bezüglich des Weinens habe er nichts Auffälliges beobachtet. «In meinem geübten Ohr klingt ein Schrei aus Schmerz anders als ein Schrei aus Protest», sagte der Arzt in seiner Einvernahme.

Gemäss der Verteidigerin gibt es keinen Hinweis, dass das Baby mögliche Schmerzen aktiv mitgeteilt habe.

06.05.2025, 16:25 Uhr

«Noch nie von Unschuld so überzeugt»

Nun folgt die Verteidigerin der Mutter Eliane P. «Das unerträgliche Leid der Familie ist nicht vorstellbar», eröffnet sie ihr Plädoyer. Sie spreche hier absichtlich von der ganzen Familie, «weil es hier nur Verlierer gibt».

Für Ihre Mandantin habe an jedem Oktobertag ein Albtraum begonnen, sagt die Verteidigerin. «Doch noch nie war ich von der Unschuld einer Klientin derart überzeugt.»

06.05.2025, 15:55 Uhr

Pause bis 16.20 Uhr

Der Gerichtspräsident unterbricht die Verhandlung bis 16.20 Uhr.

06.05.2025, 15:44 Uhr

Verteidiger fordert 18 Monate bedingt

Der Verteidiger spricht sich für einen Schuldspruch wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung und mehrfacher, fahrlässiger einfacher Körperverletzungen aus. Die Geständnisse des Beschuldigten seien als strafmildernd anzusehen. Damit meint der Verteidiger die Rekonstruktionsvideos. Ausserdem bereue der Vater seine Taten. 

Eine Strafe von 18 Monaten bedingt sei ausreichend, findet der Verteidiger. Damit beendet er sein Plädoyer.

Ein Kleinkind kommt bewusstlos ins Kantonsspital Baden AG. Ein Elternteil soll es dermassen fest geschüttelt und gegen eine Matratze gedrückt haben, dass die Ärzte es nun beatmen müssen. Das Kind überlebt. Doch als es aufwacht, ist es schwerstbehindert.

Im Spital fallen den Ärzten weitere Verletzungen auf, ein gebrochenes Schienbein, zum Beispiel. Die Eltern behaupten, das ältere Geschwister sei schuld. Die Verletzungen seien beim Spielen passiert. Eine Ermittlung wird eingeleitet, und bald stellt sich heraus: Die Misshandlung des Kleinkinds ist nur eine von mehreren Gräueltaten, die die Eltern begangen haben sollen.

Beide Elternteile angeklagt

Nur so viel ist bekannt über den Fall von mutmasslicher schwerer Kindesmisshandlung, den das Bezirksgericht Brugg AG ab Montag verhandelt. Die Medienstelle der Gerichte Aargau bestätigt einen entsprechenden Bericht von Tele M1 gegenüber Blick.

Angeklagt sind laut Gerichtsakten beide Elternteile. Der eine Elternteil soll das Kleinkind beinahe zu Tode geschüttelt und weitere Körperverletzungen begangen haben.

Vorwurf: älteres Kind sexuell misshandelt

Beiden Elternteilen werden zudem sexuelle Handlungen mit Kindern und Pornografie vorgeworfen. Davon sei das ältere Geschwister betroffen, teilt die Gerichtsmedienstelle auf Anfrage von Blick mit.

Die den Eltern vorgeworfenen Gräueltaten lassen sich aus der Liste der angeklagten Straftatbestände erahnen: versuchte vorsätzliche Tötung, versuchte schwere Körperverletzung, mehrfache, einfache Körperverletzung, Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht und die genannten Sexualdelikte im Fall des ersten Beschuldigten. Letztere zwei Punkte (Fürsorge und Erziehung sowie Sexualdelikte) betreffen auch den anderen beschuldigten Elternteil.

Annegret Lautenbach, Kinderanwältin und Co-Präsidentin von Kinderanwaltschaft Schweiz.
Foto: Peyer Partner

Annegret Lautenbach ist Co-Präsidentin des Vereins Kinderanwaltschaft Schweiz und hat schon zahlreiche Kinder in ähnlichen Prozessen vertreten. «Oft übernimmt ein Elternteil beim Missbrauch den Lead», erzählt die Anwältin Blick. «Der andere macht mit oder schaut zu, was ebenfalls bestraft werden kann.»

18 Jahre Haft gefordert

Im vorliegenden Fall fordert die Staatsanwaltschaft für den ersten beschuldigten Elternteil 18 Jahre Haft, für den zweiten lediglich 20 Monate bedingt. Die Verteidiger der zwei Angeklagten wollten sich auf Anfrage von Blick nicht zu den Vorwürfen äussern.

Relevant für den Ausgang des Prozesses wird sein, ob sich die Eltern gegenseitig schützen: «Wenn der Elternteil, der mitgemacht oder zugeschaut hat, auspackt, wird das oft als glaubwürdig gewertet. Weil den anderen zu beschuldigen gleichzeitig auch heisst, sich selbst zu belasten», so Lautenbach.

Gewalt in der Familie ist grundsätzlich aber schwierig nachzuweisen. Oft findet sie hinter verschlossenen Türen statt. Gegen die Eltern auszusagen, kann für ein Kind traumatisierend sein. Wenn es denn überhaupt alt genug ist, um zu beschreiben, was ihm widerfahren ist. Und so passieren viele Kindesmisshandlungen im Verborgenen.

Kind wegen Haft der Eltern traumatisiert

Im vorliegenden Fall kann das jüngere Kind wegen seines Alters und der schweren Behinderung nicht aussagen. Auch das ältere Kind werde am Prozess nicht befragt, heisst es in den Gerichtsunterlagen. Es sei durch die plötzliche Trennung von seinen Eltern schwer traumatisiert.

Annegret Lautenbach erlebt immer wieder, wie sehr Kinder unter einem Verfahren gegen die eigenen Eltern leiden. «Natürlich muss man ein Kind vor den Misshandlungen durch die Eltern schützen und diese bestrafen», betont die Anwältin. «Doch man darf nicht vergessen, dass die strafrechtliche Verurteilung der Eltern den meisten Kindern nichts bringt.»

Der Prozess gegen die Eltern startet am Montagmorgen um 8.15 Uhr vor dem Bezirksgericht Brugg AG und ist auf drei Tage angesetzt. Blick ist vor Ort und tickert live aus dem Gerichtssaal.

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