Darum gehts
Erica Mayer sitzt auf ihrem Bürostuhl. Leicht nach vorn gebeugt, konzentriert. Die Computermaus umklammert sie mit ihrer Rechten, führt den Cursor, dieses Pfeilchen, quer über den ganzen Screen. Öffnet das eine und schliesst das andere Dokument. Klick, klick. Ihr Blick klebt am Bildschirm. Auch wenn sie erzählt. Ihre Stimme ist meist fest und laut, als müsste sie jemanden überzeugen. Nur manchmal, da bricht die Stimme. Immer wenn es darum geht, dass niemand ihr glaubt.
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Der fast 90-Jährigen, die eigentlich anders heisst, ist die Geschichte unangenehm. Eine gut verdienende Junggesellin sei sie gewesen, erzählt sie. Eine Businessfrau. Klick, klick. Sie macht als junge Frau das Handelsdiplom und dazwischen einen Stage bei der damaligen Kreditanstalt. 400 Franken pro Monat habe sie damals verdient. Ein guter Lohn. Finanzen und Zahlen liegen ihr. Das merkt der Direktor bei der Kreditanstalt. Er nimmt Mayer unter seine Fittiche und vermittelt ihr später noch den einen oder anderen interessanten Job.
«Ich gebs zu, ich bin reingefallen»
Bis heute sei sie der Meinung, dass es besser sei, Geld anzulegen, statt es auf dem Sparkonto herumliegen zu lassen. «Aber ja, ich gebe es zu, ich bin auf einen Betrug hereingefallen», sagt sie zum Beobachter. Das Pfeilchen bleibt kurz stehen.
Erica Mayers Unglück beginnt im Jahr 2019. Da zahlt sie rund 10’000 Franken in einen zwielichtigen Investmentfonds ein. In dieser Zeit ist sie gesundheitlich angeschlagen, Krebs. Als sie nach einer Operation und vier Wochen Rekonvaleszenz wieder zu Hause ist, realisiert sie, dass sie Betrügern aufgesessen ist. Niemand ist mehr erreichbar. Das ganze Geld ist weg. Sie erstattet Anzeige. «Den Verlust konnte ich dank gut rentierenden Aktien verkraften. Ich war einfach froh, dass die Operation geglückt und ich wieder gesund war.»
Dann, vier Jahre später, meldet sich «Europol» bei ihr. Man habe das verlorene Geld gefunden. Für eine Rückzahlung müsse man aber ihre Konten überprüfen. Mayer gibt ihre Kontoangaben preis und kann sich im Nachhinein nicht mehr erklären, warum sie so fahrlässig war.
Und die Betrüger, die sich als Europol ausgegeben haben, zügeln einen tiefen sechsstelligen Betrag ab. Mayer erstattet zum zweiten Mal Anzeige. Sie erfährt, dass sie nicht das einzige Opfer ist. Doch nichts passiert. Die Betrüger sitzen irgendwo im Ausland. «Daraufhin musste ich mein bisher unbelastetes Haus mit einer Hypothek belasten, um flüssig zu bleiben.»
Wieder schlagen Betrüger zu
Im Herbst 2024 folgt der nächste Streich. Ein Herr namens David Rumsey – angeblich Mitarbeiter der zypriotischen Finanzaufsichtsbehörde – meldet sich bei Mayer. Sie ist misstrauisch. Denn die Geschichte, die er erzählt, hat sie schon mal gehört: Rumsey habe das ergaunerte Geld gefunden. Für die Überweisung seien allerdings Transaktionsgebühren, Steuern et cetera nötig. Mayer hakt bei der Behörde nach – oder zumindest bei der Stelle, die sie für die zypriotische Finanzmarktaufsicht hält.
Die Antwort kommt prompt: «Ask your police to contact us so that we can provide more information.» Also: Sie solle die Polizei kontaktieren, um mehr Infos zu erhalten.
Im Oktober 2024 geht Mayer zum dritten Mal auf den Polizeiposten. Sie bittet den Beamten, sich mit der zypriotischen Finanzaufsichtsbehörde in Verbindung zu setzen. Doch das tut der Polizist nicht. Mayers Horrorgeschichte nimmt jetzt erst so richtig Fahrt auf.
Polizei sieht «Anzeichen der Hilfsbedürftigkeit»
Denn: Nachdem Erica Mayer den Posten verlassen hat, macht die Polizei eine Gefährdungsmeldung bei der zuständigen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb). Angesichts der seit 2019 erlittenen erheblichen finanziellen Verluste habe man Anzeichen der Hilfsbedürftigkeit erkannt. So begründet der Rechtsdienst der Kantonspolizei das Vorgehen später. Und: Immer wenn das der Fall sei, müsse man als Polizei tätig werden. So sehe es das Gesetz vor.
Die Meldung der Polizei hat Folgen. Am 10. Dezember 2024 entscheidet die Kesb, dass sämtliche Bankkonten von Erica Mayer ab sofort blockiert werden. Mayer hat man vorgängig nicht informiert. Einen Monat später ordnet die Kesb eine sogenannte Mitwirkungsbeistandschaft an. Das heisst: Mayer kann nur noch zusammen mit einer Beiständin Geld von ihren Konten überweisen oder abheben.
Klick, klick. An den Wänden von Erica Mayers Büro hängen verblasste Fotos. Ein Paar an einer Schiffsreling, lächelnd. Die Haare zerzaust, die Augen wegen der Sonne etwas verkniffen. Dahinter Eisbergspitzen. Antarktis. Daneben ein anderes Foto: wogendes Gras, bis zum Horizont. Mongolei.
Mayer ist in der Welt herumgekommen. Sie verbrachte längere Zeit als Au-pair in London und lernte Englisch. Mehrere Monate war sie in den USA. Zurück in der Schweiz, arbeitete sie für namhafte Firmen. «Wenn ich zu erfolgreich wurde, hat man mir häufig einen Mann vor die Nase gesetzt», erzählt sie dem Beobachter. Übrig blieb dann der Job als dessen Sekretärin. Für Mayer ist das nichts. Sie zieht weiter.
Sie fühlt sich überwacht von der Kesb
Sie ist eine selbständige Frau – und bleibt es auch dann, als sie mit knapp 50 Jahren ihren mittlerweile verstorbenen Mann kennenlernt. Selbständigkeit. Das ist ihr wichtig. Bis heute.
Sie fühlt sich überwacht von der Kesb. Abhängig von ihrer Beiständin. Das alles setzt ihr zu. «Ich kam zeitweise an einen Punkt, wo ich nicht mehr weitermachen wollte», erzählt sie mit erstickter Stimme. Sie findet kaum mehr Schlaf. Und wenn sie ihn findet, dann schreckt sie mitten in der Nacht auf. Schweissgebadet. Sie nimmt Schlafmittel, die schon bald nichts mehr nützen. Sie nimmt sich einen Anwalt, um sich gegen die Massnahmen der Kesb zu wehren.
«Das ist mir total unangenehm»
«Mir kommt es vor, als hätte sich die Kesb gesagt: ‹So, die Frau ist jetzt bald 90. Das reicht jetzt!›» Klick, klick. Erica Mayer heftet ihren Blick wieder auf den Bildschirm. Der Computer ist neu. Mit ihrem Handy scannt sie einen QR-Code auf dem Bildschirm. Schon ist sie im Onlinebanking. Und es entfährt ihr ein Seufzer. Noch immer sind diverse Zahlungsaufträge pendent, die Beiständin hat sie noch nicht autorisiert. Dabei müsste der Gärtner bezahlt werden. Und der Zahnarzt.
Sie wechselt auf ein anderes Onlinekonto, scrollt rauf und runter. Nein, auch hier nichts. «Jemandem etwas zu schulden, der für mich gearbeitet hat – das ist mir total unangenehm.» Sogar Mahnungen habe sie bekommen. Auch eine Zahlung für ein Zeitschriftenabo sei schon seit längerem blockiert. «Was will man mir denn noch nehmen? Die Massnahmen der Kesb sind menschenverachtend.»
Mayer ist nun in sich zusammengesunken. Dreht sich auf dem Bürostuhl und blickt auf ein Regal voller farbiger Aktenordner, auf deren Rücken «UBS», «Kantonalbank», «Raiffeisen» oder «Migros-Bank» steht. Seit sich die Kesb eingeschaltet habe, sei alles durcheinandergeraten. Die Kantonalbank kündigt ihr sogar alle Geschäftsbeziehungen. «Ich habe Angst, den Überblick über meine Finanzen zu verlieren.»
Ein Urteil zu ihren Gunsten
Ein paar Wochen später mailt Mayer dem Beobachter ein Urteil. Der Bezirksrat hat die Mitwirkungsbeistandschaft teilweise aufgehoben. Über ihre Konten kann die Rentnerin wieder frei verfügen. Nur wenn es ums Haus geht, muss die Kesb weiterhin zustimmen. Also zum Beispiel, wenn sie wieder eine neue Hypothek aufnehmen will.
Die Beschwerdeführerin – also Erica Mayer – habe inzwischen eingesehen, dass sie einem Internetbetrug zum Opfer gefallen sei, heisst es in der Urteilsbegründung. Es sei zudem erkennbar, dass sie unter dem Eingriff in ihre Selbständigkeit stark leide, sogar äusserte, sie habe die Lebenslust verloren. Deshalb sei die Mitwirkungsbeistandschaft nicht mehr verhältnismässig.
Erica Mayer ist erleichtert. Nennt das Urteil aber auch einen Pyrrhussieg. Auf ihren Anwaltskosten bleibt sie nämlich sitzen. Die Hoffnung, das verlorene Geld irgendwann zurückzubekommen, hat sie noch nicht aufgegeben. Noch immer wird sie ab und zu von jemandem kontaktiert, der ihr verspricht, das Geld ausfindig zu machen. «Ich weiss jetzt aber, dass ich nichts mehr zahlen darf», sagt sie. «Aber ich weiss auch, dass ich deswegen nie mehr die Polizei einschalten werde.»
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